2018, Chemnitz
„Der besondere Fokus liegt jedoch auf dem Spätsommer und Herbst. In vier Monaten müssen wir von einer rechten rassistischen Dominanz in der Stadt Chemnitz sprechen. Im Jahr 2018 haben sich die rechtsmotivierten Angriffe in der Stadt vervierfacht.“
Redebeitrag
Vorab: Die geplante Erzählung durch einen der vielen Betroffenen von Angriffen im Spätsommer 2018 in Chemnitz konnte an diesem Tag krankheitsbedingt nicht stattfinden. Die Berater*innen in Chemnitz haben durch viele Schilderungen zwar einen Überblick über die Folgen der Angriffe, jedoch kann es nicht gelingen die Erfahrungen so zu beschreiben, wie sie eine nicht weiße Person machen würde bzw. die Angst verspüren würde dies machen zu können.
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Mein Name ist André Löscher, ich berate und unterstütze Betroffene rechte Gewalt hier in Chemnitz.
Beginnen möchte ich damit ein paar Zahlen zu nennen, dies macht die Situation von 20188 ein bisschen eindrücklicher.
In den Jahren bis 2018 haben wir in Chemnitz im Schnitt 20 rechtsmotivierte Angriffe über das Jahr gehabt. Vergleicht man andere Landkreise und Städte damit, ist das eher auf einer niedrigen Ebene.
Im Zeitraum von Ende August bis Mitte November 2018 hatten wir mindestens 60 rechtsmotivierte Angriffe. Das waren 60 Angriffe, die gegen nicht weiße Personen gerichtet waren oder die sich gegen politisch Aktive/ Andersdenkende richteten.
Im Gesamten Jahr 2018 waren es mindestens 80 Angriffe. Das heißt, in 2018 haben sich die rechtsmotivierten Angriffe vervierfacht.
Der besondere Fokus liegt jedoch auf vier Monaten in diesem Jahr. In diesen vier Monaten müssen wir von einer rechten rassistischen Dominanz in der Stadt Chemnitz sprechen.
Wir haben nicht nur körperlichen Angriffe in diesem Zeitraum erfasst, sondern vor allem einen großen Zuwachs an alltagsrassistischen Handlungen, wie zum Bsp. Beleidigungen, das Bespucken von Menschen oder diverse Anfeindungen in Bus und Bahn. Alles konnten wir gar nicht erfassen. Uns haben in dieser Zeit vor allem viele Beschreibungen aus der Flüchtlingssozialarbeit erreicht. Es gab eine sehr große Unsicherheit in der Stadt.
Eine sehr große Anzahl von Menschen wurde durch die andauernden rassistischen Demonstrationen aufgestachelt und motiviert, ihre rassistische Haltung, auch durch niedrigschwelligere Anfeindungen, offen an den Tag zu legen. Dies war für Betroffene über Wochen hinweg spürbar. Wie sich dies genau anfühlte, kann ich nicht beschreiben, aber ihr habt vielleicht eine Idee davon.
Das sind die Sachen, die ich zu Chemnitz sagen möchte. Dies sind einfach nur die Zahlen die für uns enorm hoch waren und ein kleiner Ausschnitt an Erzählungen, die uns erreichten und auch dafür stehen, was in Chemnitz passierte.
2018 gegründete sich die Gruppe „Revolution Chemnitz“. Eine Gruppe die jetzt vor Gericht steht und wegen Gründung einer terroristischen Vereinigung angeklagt ist. Das ist die vierte in Sachsen gegründete Gruppe innerhalb von 3 Jahren.
Ich möchte meinen Redebeitrag damit beenden, dass ich diese vier Gruppen benenne und aufzähle was sie getan haben. Das sind kurze Berichte, die wir aus der Presse entnommen haben. Das gehört aus unserer Sicht dazu, wenn wir von der Dominanz rechtem Terrors sprechen. Dabei werden wir auf Orte, Taten, Gruppen und Menschen stoßen, von denen wir im Rahmen dieser Veranstaltung schon gehört haben.
OldSchool Society (OSS)
„Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) ist es, der am Mittwochvormittag als erster öffentlich den NSU-Vergleich zieht. Wenige Stunden zuvor gingen Spezialeinheiten der Bundes- und Länderpolizei in Sachsen, Bayern, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Mecklenburg-Vorpommern gegen die bisher unbekannte Organisation „Oldschool Society“ (OSS) vor, die Anschläge auf Salafisten, Moscheen, Asylbewerberheime aber auch politisch Andersdenkende geplant haben soll.
250 Ermittler durchsuchten zahlreiche Wohnungen von insgesamt neun Personen. Drei Männer und eine Frau im Alter zwischen 22 und 56 Jahren wurden festgenommen. Die Bundesanwaltschaft verdächtigt sie dringend, eine terroristische Vereinigung gegründet und sich in ihr als Mitglieder beteiligt zu haben. Bestätige sich der Verdacht, sagt de Maizière in Berlin, dann handle es sich um die erste Vereinigung dieser Art in Deutschland nach dem „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU).
Die vier nun Festgenommenen hatten sich, wie es von der Bundesanwaltschaft heißt, Sprengmittel für „etwaige terroristische Anschläge“ beschafft - die Fahnder stellten bei ihren Razzien „pyrotechnische Gegenstände mit großer Sprengkraft“ sicher. Intensiv sollen OSS-Mitglieder zuletzt damit beschäftigt gewesen sein, weiteren Sprengstoff und Waffen zu beschaffen.“1
Freie Kameradschaft Dresden (FKD)
„Die FKD und ihr Umfeld waren für zahlreiche gewalttätige Übergriffe und Anschläge in der Region Dresden in den Jahren 2015 und 2016 verantwortlich oder maßgeblich an ihnen beteiligt. Die jungen Neonazis hatten im Sommer 2015 beschlossen, den Forderungen der Pegida-Kundgebungen Taten folgen zu lassen. Sowohl an den flüchtlingsfeindlichen Protesten vor dem Hotel Leonardo in Freital als auch an den rassistischen Ausschreitungen vor einer Erstaufnahmeeinrichtung in Heidenau im Sommer 2015 und den koordinierten Angriffen extrem rechter Hooligans auf Einrichtungen im Leipziger Stadtteil Connewitz im Januar 2016 waren Mitglieder der FKD beteiligt.
Gemeinsam mit der als terroristische Vereinigung verurteilten »Gruppe Freital« griff die FKD im Oktober 2015 ein linksalternatives Hausprojekt in Dresden mit Steinen, Flaschen und selbstgebauten Sprengsätzen an. Beim Dresdner Stadtfest im Sommer 2016 machten einzelne Mitglieder der Gruppe gemeinsam mit anderen Neonazis Jagd auf Ausländer und verletzten einige von diesen schwer. Unter anderem deshalb wirft die Staatsanwaltschaft den Mitgliedern der Neonazigruppe die Bildung einer kriminellen Vereinigung, Landfriedensbruch, gefährliche Körperverletzung und das Herbeiführen von Sprengstoffexplosionen vor.“2
Gruppe Freital
„Im Prozess gegen die rechtextreme "Gruppe Freital" sind lange Haftstrafen verhängt worden. Die beiden Rädelsführer Timo S. und Patrick F. wurden zu zehn Jahren beziehungsweise neuneinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Das Urteil war damit hart dran an der Forderung der Anklage, wie der "Zeit online"-Reporter Tilman Steffen berichtete. Das Oberlandesgericht Dresden unter Vorsitz von Thomas Fresemann sprach sämtliche Beschuldigte der Bildung einer terroristischen Vereinigung schuldig und verhängte Gefängnisstrafen zwischen vier und zehn Jahren. Das Gericht sah bei sechs Angeklagten versuchten Mord und bei den anderen zwei die Beihilfe dazu als erwiesen an.
In wechselnder Zusammensetzung und Tatbeteiligung hatten Gruppenmitglieder das Auto des Freitaler Linke-Stadtrats Michael Richter gesprengt und das Parteibüro der Linken in dem Dresdner Vorort angegriffen. Außerdem wurden in Deutschland nicht zugelassene Pyrotechnik aus Tschechien an Fenstern zweier Flüchtlingsunterkünfte in Freital zur Explosion gebracht und ein alternatives Wohnprojekt von Flüchtlingsunterstützern in Dresden gemeinsam mit Mitgliedern der rechtsextremen "Freien Kameradschaft Dresden" überfallen.
Nur glücklichen Umständen sei es zu verdanken gewesen, dass bei den Anschlägen Menschen nicht schwer verletzt oder gar getötet wurden, führte die Bundesanwaltschaft aus. Die Gruppe habe "ein Klima der Angst und Repression" schaffen wollen. Ziel sei es gewesen, Ausländer zu vertreiben. Den Taten habe eine fremdenfeindliche, rechtsextreme und zum Teil nationalsozialistische Ideologie zugrunde gelegen.“3
Revolution Chemnitz
Die Gruppe hat sich im Spätsommer 2018 im Zuge der vielen Demonstrationen zusammengefunden. Sie kannten sich zum Teil schon aus einer alten Kameradschaftsstruktur den sogenannten „Sturm 34“. Was diese vorhatten ist aus Chatverläufen bekannt. Zum Glück konnte die Gruppe enttarnt und festgesetzt werden, bevor diese Pläne umgesetzt wurden. Aus diesen Chatverläufen ist bekannt, dass sie Anschläge auf Migrant_innen und politisch Aktive verüben wollten. Dafür wurden zwei Termine abgestimmt. Der sogenannte „Probelauf“ wurde in Chemnitz am 14.September 2018 auf der Schloßteichinsel durchgeführt. Es wurde eine Gruppe von Migrant_innen überfallen. Dabei wurde die Gruppe festgesetzt und die Handys ausgewertet. Dadurch ist man diesen Plänen auf die Schliche gekommen, dass diese sich Schusswaffen besorgen wollten und am 03.Oktober in Berlin einen Anschlag verüben wollten, der so aussehen sollte, dass diese aus der linken Szene heraus passiert sei. Damit sollten noch mehr „Rechte“ motiviert werden, auf die Straße zu gehen, ähnlich wie wir es in Chemnitz erlebt haben. Ziel war es, einen politischen Umsturz herbei zu führen. Diese Gruppe steht aktuell vor Gericht. Das Verfahren wurde am Oberlandgericht in Dresden eröffnet und wird bis April 2020 laufen.
1 https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/oldschool-society-rechtsextremismus-im-alter-13578659.html
2 https://jungle.world/artikel/2019/34/pfeil-nach-rechts
3 https://www.tagesspiegel.de/politik/prozess-in-dresden-lange-haftstrafen-fuer-rechten-terror-der-gruppe-freital/21043472.html