Online-Ausstellung

Kontinuität rechten Terrors in Sachsen seit 1990

2006, Mittweida

„So wuchs dieser „Sturm 34“ zu einer relativ großen Gruppe zusammen, welche sich zur Aufgabe gemacht haben, den Altlandkreis Mittweida zu einer nationalbefreiten Zone zumachen. Wir konnten nicht mehr allein heimgehen. Wir sind in Gruppen heimgegangen und haben eine krasse Paranoia entwickelt.“

Redebeitrag

Hallo, mein Name ist Robert und ich komme aus Geringswalde, das ist in der Nähe von Mittweida.

Ich möchte Euch heute was über „Sturm 34“ erzählen. Der war in der Mitte 2005 und 2008 aktiv in der Region. Ich war so 16 Jahre alt und man hat mitbekommen, dass ringsherum die Aktivitäten der Nazis begonnen haben. Das war so Mitte 2005 und wir waren eine Gruppe von jungen Leute, Zecken einfach. Wir haben das natürlich wahrgenommen aber alle anderen Leute der Bevölkerung eher nicht so.

Es kam zu einem ersten Vorfall in Geringswalde. Da ist ein Kumpel von einer Feier heimgegangen und wurde überfallen im Park am Großteich. Da war auch zufällig ein älterer Mann dabei, der völlig unpolitisch war. Es hat halt gereicht, dass er neben einer Zecke entlangläuft. Meinem Kumpel wurde das Bein schwer verletzt durch den Vorfall und der Mann verlor fasst sein Augenlicht.

Wir sind dann, naiv eigentlich, noch in den Park gegangen mit fünf Leuten und haben die Typen gesucht. Wir wollten wissen wer das war bzw. wer das ist. Irgendwann traf dann auch die Polizei ein und es hat sich später herausgestellt, dass es um die 20 Männer waren, die auf zwei Leute eingeprügelt haben, bis einer fast das Augenlicht verloren hatte.

Es war dann so Anfang 2006, glaube ich, dass man hörte das sich offiziell die Kameradschaft „Sturm 34“ gegründet hat. Es war halt ein Sammelbecken von bereits radikalisierten jungen Menschen, die tief verwurzelt in der Naziszene waren. Zum anderen rekrutierten sie auch Leute. Erstaunlich war das sie es geschafft haben viele Jugendliche, die selber nicht so den Anschluss gefunden hatten oder selbst keinen Freundeskreis hatten zu rekrutieren.

Die scheinbare Überlegenheit der Nazis war sehr attraktiv für viele junge Leute, die nicht so gefestigte Freundeskreise hatten. So wuchs „Sturm 34“ zu einer relativ großen Gruppe heran, welcher sich zur Aufgabe gemacht hatten, den Altlandkreis Mittweida und da gehörten viele Städte dazu, zu einer nationalbefreiten Zone zu machen.

Sie haben das teilweise in Mittweida geschafft, wo die ersten Übergriffe stattfanden. Sie haben fast täglich sogenannte „Skinheadkontrollfahrten“ gemacht. Da sind ein paar von den Leuten in die Karren gestiegen und sind rumgefahren.

Angriffsziele waren sogenannte nicht Deutsche oder Leute, die nicht der politischen Gesinnung angehörten, so wie wir damals. Sie haben die Leute zusammengeschlagen und sind wieder weg.
Es gab auch mal eine Entführung wie ich erinnerte. Es wurde jemand in den Kofferraum gesteckt, zusammengeschlagen und woanders wieder herausgelassen.

So zog sich das über Jahre.

Ein bekannter Vorfall war auch, dass eine große Gruppe von „Sturm 34“ bei einem Dorffest bei Rochlitz zu Gast war und dort unter massiv Zeugen Leute zusammengeknüppelt hat. Es folgten dann auch Verfahren. Aber es wurde von der normalen Bevölkerung immer, als Jungen die mal über die strenge schlagen haben, wahrgenommen. Die Gerichtsurteile waren immer Jugendstrafe und es ist nie etwas Ernsthaftes herausgekommen.

Die damalige Jugendgerichtshilfe verabredete sich sogar, in unserem Beisein (als wir als Zeugen vor Gericht geladen waren), auf einen Kaffee. Daran konnte man die Ausmaße sehen. Das waren faschistische Straftäter, die von Jugendgerichtshilfe und Richter*innen hofiert wurden, obwohl sie genau wussten, dass das Nazis sind. Das war immer so nach dem Motto: „Das sind doch gute Jungs, hier haben sie mal Mist gemacht.“

Wir hatten damals in Geringswalde einen alternativen Jugendclub in einer alten Schule. Auch dieser wurde mehrfach Ziel von den Nazis. Es gipfelte darin, dass dieser im Heizungskeller angezündet wurde.

Dort wurden wir als Nestbeschmutzer wahrgenommen, weil wir angesprochen hatten, bei der Stadt, dass das Nazis sind. Dort wurde uns gesagt: „Die kommen ja nur, weil ihr hier seid.“ Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Wir konnten nicht mehr allein heimgehen. Wir sind in Gruppen heimgegangen und haben eine krasse Paranoia entwickelt. Es ist bis heute so, dass man gezielt die Gegend abcheckt nach Symboliken, nach Klamotten und dass man sofort sieht:“Ok, dass ist ein Fascho!“.

Das prägt sich so ein, dass man viel vorsichtiger und umsichtiger ist und man sich auf Situationen vorbereitet. In unseren Autos waren halt auch „CS“ drin und Knüppel, weil wir auch selbst von Autos verfolgt und abgedrängt wurden.

Von Seiten der Polizei war eine Hilflosigkeit da oder sie hatten einfach gar keinen Bock.

Es gipfelte darin, dass wir ausgebremst wurden von einem Auto vor uns und hinter uns. Wir mussten bis Mittweida fahren, weil es die Polizei nicht schaffte, obwohl wir sie die ganze Zeit am Telefon hatten, uns entgegenzukommen. Wir sind während wir versuchten rückwärts zu fahren und den Autos auszuweichen, welche uns ausgebremsten, gegen einen Baum gefahren. Der Fahrer des Autos musste den Baum bezahlen. Sein Auto war kaputt, weil er bei der Flucht gegen den Baum gefahren ist. Das Auto wurde nicht bezahlt und auch das vier Jugendlichen drinsaßen und Todesangst hatten, spielte keine Rolle. Der Baum war wichtiger.

So hat sich das institutionell durchgezogen. Städte und Kommunalpolitiker hat nicht interessiert, was da passiert. Opfer wurden als Täter benannt! Denn wegen den Opfern kamen ja die Täter dahin und haben Terror verbreitet. Polizisten hatten überhaupt gar kein Schimmer, was sie machen sollten oder ob sie überhaupt etwas machen können. Letztlich verurteilten Gerichte zu sehr milden Strafen.

Einer der Rädelsführer war Tom Woost. Der Name sollte einigen im Zusammenhang mit der Gruppe „Revolution Chemnitz“ hängen geblieben sein. Er ist immer kontinuierlich bei so etwas dabei.

Wenn sich einmal so eine Nazikameradschaft gegründet hat, verschwindet sie nicht einfach. Das hat man auch gesehen, als das Innenministerium 2008 „Sturm 34“ verboten hat, denn es ließ sich nicht mehr leugnen, dass Nazis Umtriebe machten. Die durften sich von da an ab einer Gruppe von fünf Leuten nicht mehr in Mittweida treffen. So schien auch die ganze Sache gegessen zu sein, zumindest für die Bevölkerung. Man hat keine Nazis mehr gesehen.

Die haben sich dann einfach in anderen Städten verzogen. In Burgstädt vor dem Kaufland Mann haben die noch mit über 20 Mann herumrumgelungert. In Lunzenau sind bis heute noch Faschokonzerte. Es ist eine Kontinuität, die nie aufhören wird, wenn nicht endlich auch von Seiten des Staates Konsequenzen gezogen werden. Das wirklich benannt wird, dass es Nazis sind.

Ich war froh, dass Dresden ein Zeichen gesetzt hat. So etwas fehlt halt noch in ganz Deutschland.

Klar reden wir hier über Sachsen, aber es ist deutschlandweit. In Sachsen ist es halt nur so, dass die Behörden meiner Auffassung nach alles sehr kleinhalten und selber auch mit darin involviert sind.

Somit bleibt eigentlich zu sagen, dass sich nichts geändert hat, außer dass es jetzt verstreuter ist und Nazis immer noch aktiv sind.

Sie sind aber aus der Wahrnehmung der Bevölkerung sehr verschwunden, weil sie anders agieren.

Sie machen jetzt ihre Konzerte, haben feste Treffpunkte und rasten halt seltener aus bei irgendwelchen Leuten die nicht in ihr Weltbild passen. Somit ist das weniger wahrnehmbar.

Die Ideologie und auch der Nachwuchs sind immer noch da.

Mich hat das so geprägt, dass ich nicht wieder zuschauen wollte, wie junge Leute zu Opfern werden und durch die Politik verhöhnt werden. Ich habe mich deswegen politisiert und bin in den Stadtrat gegangen um dort auch immer den Finger in die Wunde zu drücken.

Wenn von einem großartig gelaufenen Stadtfest geredet wird, aber Kids von 15 Faschos durch den ganzen Park gejagt wurden, muss man dort immer den Finger in die Wunde legen.

Das wird auch weiter notwendig sein!

Wer oder was war Sturm 34 und was bedeutete es für die Region Mittweida

Vorab möchte ich sagen, dass dieser Text keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt und auch Jahreszahlen wahrscheinlich nicht zu 100% stimmen.

Es gab eine radikalisierte Neonazigruppierung, welche Meines Wissens ab Mitte 2005 diverse Übergriffe auf hauptsächlich „Nichtdeutsche“ und Personen, die nicht mit ihrem Weltbild zu vereinbaren waren, verübte. Erst Anfang 2006 gründete sich meines Wissens offiziell die Kameradschaft Sturm 34. Diese stellte ein Sammelbecken von bereits radikalisierten Neonazis aus dem ganzen Umkreis dar und rekrutierte andererseits viele Jugendliche, welche bis Dato keinen politischen Spektrum angehörten, jedoch die Gewalt und die „Überlegenheit“ scheinbar anziehend fanden.

Rädelsführer dieser Gruppe waren unter anderem die Gebrüder Woost. An andere Namen kann ich mich nicht mehr erinnern.

Finanziert und auch organisiert wurde die Gruppe maßgeblich auch durch einen V-Mann Namens „Joker“, was aber erst später ans Tageslicht kam (Hier ist die Doku Brandstifter im Staatsauftrag sehr interessant).

Ein sehr bekannter Überfall war das Dorffest in Breitenborn bei Rochlitz, denn dort gab es sehr viele Augenzeugen, welche tatsächlich Bürger*Innen waren, die als „unpolitisch“ einzustufen waren.

Aber auch in Geringswalde gab es mehrere Übergriffe. Unter anderem einen auf einen guten Freund, als er auf dem Heimweg war. Zufällig war dort auch ein damals ca. 40-Jähriger Mann dabei, welchem fast das Augenlicht durch die Schläge der Gruppe genommen wurde.

Später (ich denke so Mitte/Ende 2006), gab es in der alten Mittelschule in Geringswalde eine Art selbstverwalteten und alternativen Jugendclub, welcher zahlreichen Anschlägen ausgesetzt war.

Dies waren zum Beispiel auch Anschläge mit Pflastersteinen auf die Scheiben als wir gerade drinnen waren und auch einmal Drohgebärden am helllichten Tag. Es war ein Sonntag, wo sogar der damalige Bürgermeister zur Hilfe kommen musste.

Doch selbst dies schreckte nicht sonderlich ab. Ich glaube 2007 gipfeltet es in einem Brandanschlag im Heizungskeller des Gebäudes.

Es kam auch vor, dass wir auf dem Heimweg von Einem Auto verfolgt und sogar ausgebremst wurden und bis Mittweida „durchhalten“ mussten, bis dort die Polizei das Auto „abfing“. All diese Übergriffe waren die mittlerweile berüchtigten „Skinhead Kontrollfahrten“.

Wir kamen uns damals in Summe relativ auf uns alleingestellt vor! Die Scheiben mussten wir selbst reparieren, denn es machte den Eindruck, dass wir schuld wären, dass die Nazis hier in die beschauliche Kleinstadt kommen.

Auch Gerichtsverfahren gegen die Nazischläger waren immer nur mild und interessierte die Verurteilten scheinbar nicht, denn die Leute wurden immer als die netten Jungs aus der Nachbarschaft dargestellt, die mal über die Stränge geschlagen haben.

Gerade weil der öffentliche Umgang mit den Nazis so war, wie er war, mussten wir selbst versuchen für unsere Unversehrtheit zu sorgen.

Dies bedeutete unter Anderem nicht mehr allein heimzulaufen und auf Kennzeichen und Symbolik bei Autos und Klamotten extrem zu achten. Man hatte gelernt seine Umgebung stets komplett „zu scannen“ um sich auf Situationen vorzubereiten.

Irgendwann 2008 gab es dann ein Verbot der Gruppe, was eher lächerlich war. Denn das war meiner Auffassung nach nur eine Besänftigungsaktion, weil nicht mehr unter den Tisch gekehrt werden konnte, dass es im Altkreis Mittweida eine gut organisierte und radikalisierte Neonazigruppierung gab und die Gerichte nicht in der Lage waren abschreckende Strafen auf die Hauptakteure zu verhängen.

Dieses Verbot sah zum Beispiel vor, dass sich die Nazis nicht mehr in einer Gruppe in Mittweida treffen durften. So waren sie natürlich aus dem Blickfeld der Einwohner*innen. So schien alles wieder gut zu sein...

Doch logischer Weise war dies natürlich nicht so. Die Treffpunkte verlagerten sich einfach nach Rochlitz, Burgstädt oder Lunzenau.

Auch weit nach dem Verbot gab es noch Übergriffe in Burgstädt oder Lunzenau. Bis heute finden auch Rechtsrock Konzerte in der Region statt.

Wie man letztes Jahr sah waren auch bekannte Gesichter von Sturm 34 bei Revolution Chemnitz vertreten, welche sich bewaffneten und einen Terroranschlag planten.

Ende gut, Alles gut? Eher NICHT!

Mittweida- NSU-Tribunal 2019.png

Danksagungen

Die Ausstellung wurde finanziell durch die Deutsche Postcodelotterie unterstützt.

Diese Künstler*innen waren an der Gestaltung beteiligt:

Ton,- Videoaufname, Schnitt: Gerog Spindler und Annett Schudeja, https://binario-stern.de

Grafic Recording: Julia Kluge, http://www.kluugel.de

Gestaltung Stellwände und Desingvorlage für Website: Norma Scheibenhof, https://www.kollektivdesign.com

Programmierung und Gestaltung website: Afeefa Kollektiv

Die Veranstaltung war möglich im Rahmen des NSU Tribunal. https://www.nsu-tribunal.de