Online-Ausstellung

Kontinuität rechten Terrors in Sachsen seit 1990

1999, Pirna

„Während wir zu Nestbeschmutzer*innen wurden, mussten wir zusehen, wie Nazis Ordnerdienste auf Dorffesten stellten und wie die Naziband „14 Nothelfern“ mit ihren deutschen Rechtsrocktexten den Newcomer Preis der sächsischen Zeitung und Sparkasse gewann.
Solche Geschichten könnten wir von mehr als 20 Jahren erzählen. Es sind Geschichten von gebrochenen Knochen, von Angriffen auf die Wohnhäuser unserer Eltern oder von Brandanschlägen.

Redebeitrag

Hallo zusammen, ich bin Steffen aus Pirna,

ich stehe hier vor allem deshalb, weil andere hier nicht stehen. Meine Geschichte ist keine besondere, sondern eine, wie sie von vielen meiner Freundinnen und Freunde genauso oder ähnlich erlebt wurde. Wir möchten deshalb den Organisator*innen danken, die diese sichtbar und heute hier möglich machen.

In Vorbereitung auf diesen Tag habe ich Erlebnisse und Bilder wieder gefunden, die mich sehr bewegt und sehr geprägt haben. Entschuldigt, dass ich davon nur wenige erzählen kann und habt auch Verständnis dafür, dass ich auch einige nicht erzählen möchte.

Es war 1994 als unser Religionslehrer, vermutlich unbewusst, dafür sorgte, dass mein politisches Engagement begann. Vermutlich hätte ich Euch damals meinen Punkerstinkefinger gezeigt, wenn Ihr gesagt hättet, dass ich politisch sei.

Dank ihm lernten wir Menschen aus Kuba und Sri Lanka kennen, die wenige Kilometer von Pirna entfernt in einem Wohnheim für Geflüchtete lebten. Für einige Jahre spielten wir mit ihnen gemeinsam Fußball, aßen ein für mich viel zu scharfes Essen und schwiegen uns an, ohne dass es unangenehm war. Mit einer Beschwerde über die schlechten Lebensbedingungen in diesem Wohnheim, störten wir, das war ich und mein 14 jähriger Freund, die öffentliche Sicherheit und bekam dafür ein Hausverbot.

Es war 1994 als die faschistische deutsche Kulturgemeinschaft um den ehemaligen Waffen SS Angehörigen Herbert Schweiger begann ihre sogenannten Gästewochen in Altenberg, rund 40 km südlich von Pirna, zu veranstalten. In Österreich und Italien wuchs der Druck auf diese Veranstaltung. So mussten sie erneut suchen und fanden für zumindest für sechs Jahre in dem Wirt des Altenberger „Knappensaals“ einen neuen Verbündeten.
Der Sprecher des sächsischen Innenministeriums allerdings erklärte damals, dass es bei diesen Treffen, in der Vergangenheit, keine besonderen Vorkommnisse gegeben hätte. Da es sich außerdem um geschlossene Veranstaltungen handelte, würde dies als nicht so dramatisch eingeschätzt. Die öffentliche Sicherheit würde, durch die Treffen von hunderten alten und neuen Nazis, nicht beeinträchtigt.

Es könnte 1997 gewesen sein, als wir einen Ausflug zu unseren Freund*innen nach Sebnitz, ca. 30 km entfernt von der tschechischen Grenze, machten. Sebnitz war uns damals bekannt als eine Hochburg der „Hammerskins“. Diese Typen einmal zu Gesicht bekommen zu können, ist zwar aus heutiger Sicht wenig nachvollziehbar aber damals war es eine Mischung aus Abenteuerlust und Naivität, die uns mit dem Auto eine Runde über den Sebnitzer Markt drehen ließ.
Sie endete mit einer kurzer Verfolgungsjagd mit kaputten Scheiben an meinem Auto und dem Versuch, eine Anzeige bei der Sebnitzer Polizei aufzugeben. Wenig engagiert wurde die Anzeige aufgenommen, die Beamten glaubten uns den Vorfall nicht.

Was mir von diesem Tag blieb, war wenige Tage später ein abgebranntes Auto vor meiner Haustür. In der Nacht haben Unbekannte irgendwie meine Adresse herausbekommen, die Tür des Autos aufgebrochen und es mit Brandbeschleuniger angesteckt. Beide Fälle wurden nie aufgeklärt.

Im selben Jahr, 1997, meldet der damalige Sebnitzer Chef der „Sächsischen Hammerskins“, Mirko Hesse, seine Musikfirma „Hate Records“ an, mit Fördergeldern des Freistaats Sachsen und der EU. Mit etwa 13.000 Mark baute er seine Firma zu einer zentralen Vertriebsorganisation für Nazirock auf. So war Hesse unter anderem an der Herstellung der Landser CD „Ran an den Feind“ beteiligt.

Doch Hesse war bereits vorher bekannt, weil er auf Fotos mit Maschinenpistole und Armbrust vor dem Banner von „Blood and Honour“ posierte. Ja, Hesse hatte viele Kontakte zu „Blood and Honour“, zu den „Hammerskins“ und zum Bundesamt für Verfassungsschutz, für das er tätig war. Abgesehen davon taucht sein Name mehrfach in den Berichten zu den Morden des NSU auf.

1999 häufen sich die organisierten Angriffe der Nazis. Die zwei Jahre zuvor gegründete Nazikameradschaft „Skinheads Sächsischen Schweiz“ mit besten Kontakten zur NPD, hatte die Region fest im Griff.

Jugendliche die von rechter Gewalt betroffen waren oder die nicht darauf warten wollten, versuchten sich eigene Räume, Schutzräume, zu organisieren. Am Ende scheiterten wir, zumindest vorerst, am Willen politisch Verantwortlicher uns zu unterstützen und am Geld. Im gleichen Jahr veröffentlichte die sächsische Zeitung die Liste der Parteispenden im Landkreis. Wir mussten lesen, dass die NPD die zweitmeisten Firmenspenden im Landkreis bekam, mehr als Grüne, SPD, PDS und FDP zusammen.

Während wir zu Nestbeschmutzer*innen wurden, mussten wir zusehen, wie Nazis Ordnerdienste auf Dorffesten stellten und wie die Naziband „14 Nothelfern“ mit ihren deutschen Rechtsrocktexten den Newcomerpreis der sächsischen Zeitung und Sparkasse gewann.

Solche Geschichten könnten wir von mehr als 20 Jahren erzählen. Es sind Geschichten von gebrochenen Knochen, von Angriffen auf die Wohnhäuser unserer Eltern oder von Brandanschlägen. Es sind Geschichten von fehlender Unterstützung politisch Verantwortlicher und vom Fehlverhalten zuständiger Behörden.

Das schlimmste ist aber, dass diese Situation für uns als Normalität wahrgenommen wurde. Es ist unser Alltag angegriffen zu werden und es war unser Alltag dafür selbst verantwortlich gemacht zu werden.

Viele unserer Freund*innen und Partner*innen verließen die Gegend und tun dies auch immer noch.

Was uns all die Jahre Mut machte und uns weiter machen ließ, war der Zuspruch und die Solidarität unserer Freund*innen aus anderen Regionen. Es waren Treffen mit Verfolgten und Antifaschist*innen die während des Nationalsozialismus aktiv waren. Es waren antifaschistische Demonstrationen und Aktionen, die uns zeigten, dass wir gemeinsam Nazis die Grenzen aufzeigen können und es warem dann die eigenen Aktivitäent die uns aus unserer Passivität herausholte.

Seit 18 Jahren gibt es nun in Pirna unseren Verein AKuBiZ und wir versprechen auch weiterhin uns mit unseren Möglichkeiten den Nazis und deren Sympathisant*innen in den Weg zu stellen!

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Transkription des Beitrages von Steffen Richter Pirna, Sächsische Schweiz, im Rahmen des Workshops Kontinuität rechten Terrors ins Sachsen (NSU TRIBUNAL 02.11.2019)

Mittelsachen- NSU Tribunal 2019.png

Danksagungen

Die Ausstellung wurde finanziell durch die Deutsche Postcodelotterie unterstützt.

Diese Künstler*innen waren an der Gestaltung beteiligt:

Ton,- Videoaufname, Schnitt: Gerog Spindler und Annett Schudeja, https://binario-stern.de

Grafic Recording: Julia Kluge, http://www.kluugel.de

Gestaltung Stellwände und Desingvorlage für Website: Norma Scheibenhof, https://www.kollektivdesign.com

Programmierung und Gestaltung website: Afeefa Kollektiv

Die Veranstaltung war möglich im Rahmen des NSU Tribunal. https://www.nsu-tribunal.de