2017, Löbau
„Wir sind einfach gerannt. Ich habe meinen anderen Freunden gesagt, dass wir nicht rennen müssten, da wir nichts falsch gemacht hatten. Doch die Angst hat alle kontrolliert und wir rannten.“
Redebeitrag
Es geschah in der Nacht auf den Samstag, den 11.09.2016.
Wir gingen zu einem kostenlosen Konzert in Löbau in Sachsen mit Freunden verschiedener Nationalitäten aus der Unterkunft. Am Beginn des Konzerts war die Situation normal. Wir bemerkten zwar, dass ein paar Personen uns misstrauisch beobachteten, ignorierten dies jedoch.
Der Angriff geschah zwei Stunden später, als diese Personen begannen uns zu beschimpfen mit Ausdrücken wie „Scheiße!“, „Geht nach Hause!“ etc. Die Personen, die uns belästigten, trugen T-Shirts in den Farben Rot-Schwarz.
Wir ignorierten die verbalen Attacken, bis mich jemand von den Personen von hinten in den Rücken schubste. Obwohl ich ihm nichts getan hatte war er die ganze Zeit hinter mir, während ich tanzte.
Wir registrierten, dass die Anzahl der feindseligen Gruppe gestiegen war, denn andere von uns, wurden nun auch herum geschubst von Mitgliedern derselben Gruppe mit den Schwarz-Roten T-Shirts.
Ab diesem Zeitpunkt empfanden wir es als eine akute Gefahrensituation und beschlossen zusammen Richtung Zuhause zu gehen.
Nachdem wir das Konzert verließen, überraschte uns eine Gruppe von zwanzig bis dreißig
weißen deutschsprachigen Männern mit einer gegen uns gerichteten Menschenkette und rief einstimmig: „Geht nach Hause!“ und „Verlasst Deutschland“, „Verpisst euch!“ und andere Sätze, die wir sprachlich nicht verstehen konnten.
Ich war der letzte in meiner Gruppe, der hinausgekommen war. Wir sind einfach gerannt. Ich habe meinen anderen Freunden gesagt, dass wir nicht rennen müssten, da wir nichts falsch gemacht hatten. Doch die Angst hat alle kontrolliert und wir rannten.
In diesen Momenten hat mich jemand von hinten geschubst und ich fiel. Ich dachte mir, „Wäre ich nur auch schneller mitgerannt.“
Die Rassisten schlugen mich! Ich habe versucht wegzurennen, doch meine Knie war vom Fallen nach dem ersten Angriff schwer verletzt. Ein weiterer Mann schubste mich und ich fiel mit dem Kopf auf einen Briefkasten gegenüber der Volksbank. Danach blutete ich stark. Die Rassisten ließen mich zurück. Sie verfolgten meine Freunde weiter.
Ich hielt dies für den richtigen Augenblick, um wegzurennen, weil ich fühlte, dass die Angreifer zu mir zurückkommen würden.
Ich bewegte mich in Richtung Aldi und stieß auf einen Einheimischen, der mir half. Er gab mir Tücher, um meine Wunde zu bedecken. Er rief für mich die Polizei und die Ambulanz.
Einige Autofahrer stoppten, stiegen aus, fragten nach und halfen mir.
Die Rassisten kamen zurück und wollten mich wieder angreifen, doch die hinzugekommenen Menschen schützten mich. Der Krankenwagen kam, die Polizei nicht.
Die rassistische Gruppe störte die Notfallhelfer so sehr, dass eine Krankenschwester nochmals die Polizei anrief. Die Polizei kam an, nahm meine Personalien auf. Die Krankenschwester fragte mich, ob ich einen Ausweis bei mir habe. Ich sagte, nein. Ich hatte den Ausweis im Heim gelassen. Da ich an einem Deutschkurs teilnehme, spreche ich ein wenig Deutsch.
Wir fuhren zum Görlitzer Krankenhaus und ich wurde dort behandelt.
Um 4 Uhr morgens ging die Krankenschwester mit mir zur Toilette und wusch mein Gesicht vom Blut frei und sagte mir dann: „Geh jetzt!“. Ich antwortete ihr, dass ich kein Geld bei mir habe. Mir ist bewusst, dass die Verantwortung des Krankenhauses hier endete.
Die Krankenschwester rief für mich ein Taxi, doch telefonisch bekam sie die Auskunft, dass die Fahrt 50 € kosten würde. Daraufhin bat ich die Krankenschwester für mich die Polizei zu rufen. Sie antwortete, die Polizei sei beschäftigt und sie habe anderes zu tun.
Ich empfand es als absolut ungnädig von ihr einen blutverschmierten Menschen, dessen Knie mit Verband bedeckt war, so zu behandeln. Ich war sehr wütend und dachte, „So ein Scheiß!“ Ich habe das Krankenhaus zu Fuß verlassen.
Es war Samstag am frühen Morgen. Betrunkene Menschen waren unterwegs. Mitten auf der Straße, alleine in dem Zustand, hatte ich Sorge, dass ich noch einmal angegriffen werden würde. Ich erreichte eine Tankstelle und bat die Angestellten die Polizei zu rufen. Die Polizei kam an. Ich näherte mich ihnen und zeigte ihnen die vorher vom Krankenhaus ausgestellten Papiere. Der Polizeibeamte telefonierte daraufhin.
Der Polizist fragte: „Was willst du jetzt von uns?“
Ich bat: „Könnt ihr mich einfach zu meinem Flüchtlingsheim bringen?“
Dieses Schwein von Polizist antwortete: „Bezahle mir 80 €!“
Also habe ich ihm gesagt: „Bring mich bitte zum Bahnhof und rede mit dem Kontroller, damit die Bahn mich nach Löbau mitnimmt.“
Doch der Polizist: „Ich kann dir nur eine Fahrkarte malen.“
So standen alle drei Polizisten vor mir zusammen und malten auf einem Papier mit einem Bleistift eine Fahrkarte für mich.
Mann, war das eine Scheiße!
Ich erreichte den Löbauer Bahnhof um sechs Uhr morgens. Ich dankte Gott, dass dies alles an einem Wochenende geschehen ist. Die Menschen schliefen in ihren Häusern. Niemand war unterwegs zur Arbeit. Mir blieb es erspart zwischen gerade aufgewachten Menschen mit von Blut verschmierter Kleidung umherzulaufen und angestarrt zu werden. Auch hatte ich die schlimme Vorstellung, die rassistische Gruppe könnte wieder auf mich stoßen.
Mit dem Kontroller in Görlitz hatte ich eine schwierige Diskussion zu führen. Er wollte mich nicht in den Zug nach Löbau einsteigen lassen. Doch ich erzwang es von ihm. Ich ließ nicht locker und schließlich erlaubte er mir einzusteigen.
Ich kam nach Hause zurück und ein neues Leben war für mich geschrieben worden.