Opferberatung SUPPORT veröffentlicht Jahresstatistik zu rechtsmotivierter Gewalt in Sachsen 2024
328 Angriffe mit mindestens 446 Betroffenen +++ deutlicher Anstieg um 32 % +++ gewalttätige Raumnahme setzt sich fort +++ Wahlkämpfe und CSDs Anlässe für rechte Gewalttäter*innen +++ Rassismus weiterhin häufigstes Tatmotiv, aber deutliche Zunahme von Angriffen gegen politische Gegner*innen und Nichtrechte, queerfeindliche Angriffe weiterhin hoch


328 rechtsmotivierte Angriffe zählten die Beratungsstellen SUPPORT des RAA Sachsen e.V. im Jahr 2024 – ein deutlicher Anstieg um 32 % im Vergleich zum Vorjahr – mindestens 446 Menschen waren direkt betroffen von den Gewalttaten.
Flächendeckender Anstieg, aber stabile Schwerpunktregionen in den Großstädten und den Landkreisen Görlitz, Bautzen, Leipzig und Zwickau
Die gewalttätige Raumnahme setzt sich fort, verstärktes Auftreten neonazistischer Organisationen und Zuwachs an jungen, gewaltbereiten Neonazis.
Wahlkämpfe und CSDs in Sachsen boten Anlässe für rechte Gewalttäter*innen
Rassismus weiterhin das häufigste Tatmotiv, aber deutliche Zunahme von Angriffen gegen politische Gegner*innen und gegen Nichtrechte, queerfeindliche Angriffe weiterhin hoch
Merkliche Zunahme von Bedrohungen, Körperverletzungsdelikte bleiben am häufigsten
Die höchsten Angriffszahlen sachsenweit weisen die Großstädte Leipzig (74), Dresden (54) und Chemnitz (26) auf. Schwerpunktregionen sind außerdem wieder die ostsächsischen Landkreise Bautzen (26) und Görlitz (27), wo die Angriffszahlen im Vergleich zum Vorjahr noch einmal deutlich gestiegen sind – um 53 bzw. 59 %, sowie die Landkreise Leipzig (23) und Zwickau (22). Drastische Anstiege der Gewalttaten sind in den Landkreisen Meißen (+500% von 3 auf 18) und Mittelsachsen (+125% von 8 auf 18) zu verzeichnen. Ein Rückgang der Angriffszahlen ist in diesem Jahr in keinem Landkreis festzustellen.
Seit 2022 ist die Entwicklung einer zunehmend gewalttätigen rechten Raumnahme zu beobachten. Dazu erklärt Andrea Hübler:
„Im letzten Jahr wurde sichtbar, dass wir in Sachsen wieder mit organisierten neonazistischen Strukturen konfrontiert sind, seien es altbekannte, wie JN oder III. Weg oder neue Jugend-Kameradschaften mit verschiedensten Bezeichnungen. Sie treten mit Demonstrationen und Gegenmobilsierungen, aber auch im Alltag selbstbewusst und aggressiv auf. Sichtbar wurde das bei den CSDs und in den Wahlkämpfen zu Europa- und Kommunalwahl und zur Landtagswahl. Folge waren vermehrte Angriffe auf politische Gegner*innen und Nichtrechte.“
Und weiter: „Mit welcher Gefahr wir es hier zu tun haben, zeigt nicht zuletzt das Ermittlungsverfahren der Bundesanwaltschaft gegen die mutmaßlich rechtsterroristische Gruppe „Sächsische Separatisten“. Radikalisieren sich die nun aktiven jungen Rechten weiter und können langjährig organisierte Neonazis dies forcieren, besteht die Gefahr, dass sich weitere solcher Gruppen finden, Anschläge planen oder mit Häuserkampf- und Schießtrainings auf einen Tag X vorbereiten.“
Bei den 328 rechtsmotivierten, rassistischen und antisemitischen Angriffen im Jahr 2024 handelte es sich überwiegend um Körperverletzungsdelikte (205) und um Nötigungen/Bedrohungen (114).
Dazu Andrea Hübler: „Bedrohungen haben erneut zugenommen. Mit dieser Form der rechtsmotivierten Gewalt sollen Betroffene eingeschüchtert und verdrängt werden – wie in Pirna, wo eine politisch links engagierte Person von zwei Männern verfolgt, und mit Gewalt bedroht wurde, wenn man sie noch einmal im Dunkeln sehe oder in Meißen, wo eine Molotowcocktail-Attrappe, eine Kerze mit Hakenkreuz und ein Zettel mit einer rassistischen Drohung gegen Muslime und Ukrainer*innen vor dem Büro der Migrationsberatung der Diakonie platziert worden ist.“
„Die Verunsicherung vieler Menschen, die von Rassismus betroffen sind, sich demokratisch engagieren oder wegen ihres Berufs z.B. in Beratungsstellen angefeindet werden, ist groß. Der Machtgewinn der AfD, die Normalisierung ihrer Inhalte und Forderungen, die sogenannte Migrationsdebatte oder eben rechtsterroristische Gruppen, fügen sich zu einer Gemengelage, in deren Angesicht sich Menschen zunehmend bedroht und ohnmächtig fühlen.“
Fast die Hälfte der Angriffe (147) wurden 2024 aufgrund von Rassismus verübt. 63 Angriffe (+91%) richteten sich gegen politische Gegner*innen, 44 gegen Nichtrechte (+52%), 25 gegen Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung/geschlechtlichen Identität (+25%). Antisemitisch motivierte Gewalttaten gingen auf drei Vorfälle zurück (2023: 6). Zwei Angriffe waren mutmaßlich sozialdarwinistisch motiviert, zwei versuchte Tötungen in Leipzig und Freital. In 44 Fällen blieb das konkrete Tatmotiv unklar.
Andrea Hübler abschließend: „Der erneute deutliche Anstieg rechtsmotivierter Gewalt in Sachsen ist besorgniserregend und das politische Klima, das sich in Debatten und Wahlergebnissen weiter nach rechts verschoben hat, nicht minder. Um dieser gefährlichen Entwicklung etwas entgegenzusetzen, braucht es unbedingt weiterhin eine aktive demokratische Zivilgesellschaft. So viele NGOs setzen sich auch in Sachsen mit Bildung, Beratung und Engagement vor Ort für all das ein, was wir für so selbstverständlich halten: Demokratie, Menschenwürde, Freiheit, gleiche Rechte für alle, eine offene und vielfältige Gesellschaft, Teilhabe, Miteinander und Zusammenhalt in der Gesellschaft. Diese Arbeit verdient Unterstützung und keine Kürzungen oder Diffamierungen über kleine Anfragen.“



Die Fachberatungsstelle Support für Betroffene rechter Gewalt des RAA Sachsen e.V. unterstützt in Sachsen seit 2005 Opfer rechtsmotivierter, rassistischer und antisemitischer Gewalt bei der Bewältigung der Tatfolgen und dokumentiert darüber hinaus diese Angriffe. Im Jahr 2024 haben wir sachsenweit in 397 Beratungsfällen beratend und unterstützend zur Seite gestanden.
Die Zusammenfassung der Statistik ist unter Nennung des Urhebers frei verwendbar und abrufbar unter: www.raa-sachsen.de/statistik