Rechtsmotivierte, rassistische und antisemitische Gewalt in Sachsen 2023
2023: Opferberatungsstellen in Sachsen zählen 248 rechtsmotivierte Angriffe, von denen mindestens 380 Menschen direkt betroffen waren - ein deutlicher Anstieg im Vergleich zum Vorjahr. Die gewalttätige rechte Raumnahme in sächsischen Schwerpunktregionen setzte sich nicht nur fort, sondern weitete sich aus. Mit einem verstärkten Auftreten neonazistischer Organisationen und einem Zuwachs an jungen Neonazis geht auch eine Zunahme rechtsmotivierter Gewalttaten einher.
Im Jahr 2023 verzeichneten Opferberatungsstellen in Sachsen 248 rechtsmotivierte Angriffe, von denen mindestens 380 Personen direkt betroffen waren. Dieser Anstieg um 21% im Vergleich zum Vorjahr setzt den Trend fort, der bereits 2022 (205) mit einem erhöhten Niveau rechtsmotivierter Gewalt sichtbar wurde. Nach einem Rückgang während der Pandemiejahre nehmen Angriffe aus rechten Motiven seither wieder zu. Im Jahr 2018 lag die Zahl mit 317 zuletzt besonders hoch, was in den rassistischen Ausschreitungen im Sommer des Jahres in Chemnitz begründet liegt. Davor führte eine aufgeladene, ablehnende bis feindselige Stimmung gegenüber der Aufnahme von Geflüchteten in den Jahren 2015 (477) und 2016 (437) zu einem sprunghaften Anstieg rassistischer Angriffe.
Gewalttätige rechte Raumnahme in sächsischen Schwerpunktregionen setzt sich fort
Bereits im letzten Jahr beschrieben wir aufgrund der zu beobachtenden Entwicklungen vor allem in den sächsischen Schwerpunktregionen eine zunehmend gewalttätige (extrem) rechte Raumnahme. Diese war 2022 besonders in den Landkreisen Nordsachsen, Zwickau und Bautzen wahrnehmbar, wo sich die hohen Angriffszahlen zum Teil auf kameradschaftsähnliche Gruppierungen zurückführen ließen. Diese Entwicklung setzte sich im Jahr 2023 offenbar fort und breitete sich weiter aus. Die Schwerpunkregionen sind wieder die Landkreise Zwickau und Bautzen, hinzu kommt der Landkreis Görlitz, der Landkreis Leipzig löste Nordsachsen wieder ab.
Sichtbar wurde 2023 eine Reorganisierung neonazistischer Strukturen nach Jahren der Coronapandemie und des Zulaufs für Querdenker, Neue Rechte oder auch völkische Zusammenhänge. Junge Kameradschaften, Kleinstparteien wie der III. Weg oder die Heimat, bzw. deren Jugendorganisationen rekrutieren Jugendliche, gründen neue Stützpunkte und sind mit Aktionen verstärkt sichtbar. Das bleibt nicht ohne Folgen. Sachsenweit ist zu erkennen, dass Täter*innen wie Betroffene jünger werden. Diese Entwicklung rührt wahrscheinlich auch aus der Zeit der Coronapandemie, welche als Brandbeschleuniger für die Radikalisierung junger Menschen in der extrem rechten Szene wirkte. Mit einem verstärkten Auftreten neonazistischer Organisationen und einem Zuwachs an jungen und gewaltbereiten Neonazis geht auch eine Zunahme rechtsmotivierter Gewalttaten einher. Sowohl rassistisch motivierte Angriffe als auch Angriffe gegen Nichtrechte und Alternative haben deutlich zugenommen. Vor allem letztere Betroffenengruppe gerät, wie auch politische Gegner*innen, in den Fokus organisierter junger Neonazis, die damit ihre Dominanz in einem Ort oder Viertel geltend machen. Andere vor allem als eher links geltende Jugendkulturen, wie Punks oder Skater*innen, werden nicht geduldet. Das zeigt sich durch Präsenz auf der Straße, durch Aufkleber oder Sprühereien, sowie durch Anfeindungen, Beleidigungen und Sachbeschädigungen. In die Statistik Eingang finden nur massive Sachbeschädigungen, Bedrohungen, Nötigungen und Körperverletzungen – bei diesen Straftatbeständen gab es insgesamt Zuwächse, besonders stark jedoch bei den Bedrohungen (siehe unter Staftatbestände). Und während die Betroffenengruppen der politischen Gegner*innen und Nichtrechten und Alternativen zusammen ca. ¼ aller Angriffe 2023 ausmachen, beläuft sich deren Anteil in den Schwerpunktlandkreisen bei ca. 1/3.
Landkreise Görlitz und Bautzen
2023 stiegen die Angriffszahlen im Landkreis Görlitz massiv und auch im Landkreis Bautzen noch einmal leicht auf jeweils 17 Angriffe. Rassismus ist das häufigste Tatmotiv (19), zehn Angriffe richteten sich gegen politische Gegner*innen oder Nichtrechte und Alternative. Diese Zahlen und die Wahrnehmung einiger Betroffener und Kooperationspartner*innen verweisen auf Veränderungen: rechte Jugendgruppen treten selbstsicher und aggressiv nicht nur im Görlitzer oder Bautzner Stadtbild auf. Shirts mit "White Race", Sticker des III. Weges, extrem rechte Graffities und Parolen gehören zum Stadtbild. Starke Aktivitäten vor allem der Strukturen aus dem Bautzner Raum bilden den Hintergrund: die Gruppe „Balaclava Graphics“, das Musiklabel „Neuer deutscher Standard“ und der neu gegründete Stützpunkt Oberland des III. Weg. Besonders präsent ist der „Jugendblock“ in Bautzen, für den die Gruppe „Balaclava Graphics“ mobilisiert. Diese nehmen regelmäßig an den Montagsprotesten in Bautzen teil, inszenieren sich auf Instagram mit Pyrotechnik, verteilen Sticker mit der Aufschrift „Nazikiez“ und sprechen damit besonders junge Personen an.
Landkreis Zwickau
Die erfassten Gewalttaten im Landkreis Zwickau (21) hatten in Zwickau und den umliegenden Gemeinden wie Wilkau-Haßlau ihren örtlichen Schwerpunkt. Einige Angriffe gingen von rechten Jugendgruppen aus und richteten sich vor allem gegen Jugendliche, die ihre rechte Ideologie nicht teilen oder sich gegen diese positionieren. Im Raum Zwickau wirbt die extrem rechte Kleinstpartei der III. Weg um Jugendliche. Sie bieten Treffpunkte, Nachhilfe, Kampfsporttraining und ihre eigene Jugendorganisation, die „Nationalrevolutionäre Jugend“. So besteht die Gefahr, dass von rechten Jugendlichen dominierte Orte entstehen, die Anziehungspunkt sind für weiteren Nachwuchs und gleichzeitig Angstraum für alle, die hier Gefahr laufen diskriminiert, angefeindet, bedroht oder angegriffen zu werden.
Landkreis Leipzig
Im Landkreis Leipzig (17) sind die Angriffszahlen im Vergleich zum Jahr 2022 (10) wieder deutlich angestiegen. Mit Blick auf die Jahre zuvor scheint es jedoch nur ein Angleichen auf das Niveau vor der Coronapandemie. Zusammen mit Nordsachsen war der Landkreis Leipzig in den vergangenen Jahren immer eine Schwerpunktregion. Angegriffen wurden Menschen, die von Rassismus betroffen sind (10), Nichtrechte (5) sowie politische Gegner*innen (1). Rechte Gewalt gehört im Landkreis auch an Orten zum Alltag, an denen keine starke, organisierte Rechte auftritt, jedoch lohnt sich der Blick auf die Regionen, in denen extrem rechte Akteure aktiv sind. So gab es auch im Jahr 2023 wieder Angriffe in Wurzen, darunter viele Sachbeschädigungen am Mit-Mach-Café des Netzwerks für Demokratische Kultur e.V. (NDK). Hier treten vor allem die Jungen Nationalisten (JN), Jugendorganisation der Heimat (früher NPD) auf: Vermehrt durch Graffitis und Sticker, im Februar 2023 mit einem Aufmarsch anlässlich der Bombardierung 1945 in Dresden mit Sarg, Fackeln und schwarz-rot-goldene Masken. In Brandis jedoch schnitten zwei Schüler in der Hofpause einem Mitschüler ein Hakenkreuz und das Logo der JN in die Haare und teilten Fotos der Aktion in einem sozialen Netzwerk. Mit Benjamin Brinsa hat ein bekannter Akteur der extrem Rechten in Wurzen zwar Ende 2023 sein Stadtratsmandat niedergelegt, sein Einfluss vor Ort und im Kampfsport- und Hooliganumfeld besteht jedoch fort.
Stadt Leipzig
Mit 70 Angriffen in der Stadt Leipzig gab es im Vergleich zum Vorjahr einen Anstieg um 40%. Mit 30 Fällen ist Rassismus dabei immer noch das häufigste Tatmotiv. Doch auch die queerfeindlichen Angriffe sind im Jahr 2023 auf 11 (2022: 8, 2021: 3) gestiegen. In der ersten Jahreshälfte 2023 gab es im Zusammenhang mit rechten Montagsprotesten Angriffe auf Nichrechte oder politische Gegner*innen, die jedoch mit dem Versammlungsgeschehen abnahmen. Ein Schwerpunkt ist im Stadtzentrum und im Nordosten der Stadt zu erkennen. In den Stadtteilen Mockau, Eutrizsch und Paunsdorf fallen neben Propagandaaktionen, mit dem III. Weg und dessen Jugendorganisation auch gefestigte extrem rechte Strukturen auf. Chronik LE schrieb dazu: „Seit Frühjahr 2023 haben die Aktivitäten des III. Wegs in der Region Leipzig stark zugenommen. Die in der Stadt bis dahin kaum in Erscheinung getretene neonazistische Partei versucht vorwiegend in östlichen Stadtteilen sowie der nordsächsischen Stadt Taucha Fuß zu fassen“.
Stadt Chemnitz
Im Jahr 2023 gab es einen Anstieg um 64% auf 23 (2022: 14) rechte Gewalttaten. Der ist vor allem auf rassistische Taten zurückzuführen, die auch in Chemnitz den Großteil der Fallzahlen ausmachen (12). Zusätzlich zeigte sich auch hier das Phänomen junger, rechter, organisierter Täter, welche in der Stadt politische Gegner*innen und Nichtrechte oder alternative Jugendliche (5) angriffen. Vor allem in den Sommermonaten kam es zu Angriffen auf Jugendliche oder junge Erwachsene, die in den Augen der Täter links oder queer aussahen.
Die Zahlen im Überblick
Räumliche Verteilung
Die höchsten Angriffszahlen sachsenweit weisen wie seit Jahren die Großstädte Leipzig und Dresden auf. Jedoch sind sie in Leipzig[1] im Vergleich zum Vorjahr um 40% gestiegen (70, 2022: 50) und in Dresden um 34% gesunken (42, 2022: 64). Bewegten sich die Angriffszahlen in der Stadt Chemnitz die letzten Jahre eher auf dem Niveau der Spitzen-Landkreise, ist hier im Jahr 2023 ein Anstieg um 64% auf 23 (2022: 14) zu verzeichnen. Auch in den Landkreisen nahmen die Angriffe zu. Besorgniserregend ist die Steigerung um 183% im Landkreis Görlitz von 6 Angriffen im Jahr 2022 auf 17 im Jahr 2023. In den Landkreisen um Leipzig ist eine Verlagerung des Schwerpunktes von Nordsachsen (2023: 11, 2022: 14) in den Landkreis Leipzig (2023: 17, 2022: 10) zu beobachten, wo eine Steigerung um 70% zu verzeichnen ist. Deutliche Anstiege gibt es ebenso im Landkreis Erzgebirge (2023: 9, 2022: 1) und im Landkreis Sächsische Schweiz – Osterzgebirge (2023: 8, 2022: 2). Erneut stiegen die Angriffszahlen im Landkreis Zwickau, diesmal um 62% von 13 Angriffen in 2022 auf 21 in 2023 und im Landkreis Bautzen, diesmal um 31% von 13 Angriffen in 2022 auf 17 in 2023. In beiden Landkreisen ist diese Entwicklung seit Jahren konstant. Während die Angriffszahlen in den Landkreisen Meißen (2023: 3, 2022: 5) und Mittelsachsen (2023: 8, 2022: 7) ungefähr gleichblieben, gibt es im Vogtlandkreis einen deutlichen Rückgang um 67% auf 2 Vorfälle im Jahr 2023 (2022: 6).
Die Statistik für die Stadt Leipzig ist in Kooperation mit der Opferberatung der RAA Leipzig e.V. entstanden.
Im Verhältnis zur Einwohner*innenzahl bleibt das Bild der Schwerpunkte rechter Gewalt in Sachsen fast unverändert. Je 100.000 Einwohner*innen wurden in den Großstädten Leipzig (11,6), Chemnitz (9,5) und Dresden (7,6) die meisten Angriffe verübt. In den Landkreisen Zwickau (6,8), Görlitz (6,8) und Leipzig (6,6) ist die Angriffszahl trotz geringerer Bevölkerungsdichte hoch. Auch die Landkreise Bautzen (5,7) und Nordsachsen (5,6) weisen im Verhältnis recht hohe Angriffszahlen auf. Dahinter liegt der Landkreis Sächsische Schweiz – Osterzgebirge (3,3), der Erzgebirgskreis (2,7), der Landkreis Mittelsachsen (2,7), der Landkreis Meißen (1,3) und der Vogtlandkreis (0,9).
Der Anteil der Fälle, in denen Anzeige erstattet wurde, war in diesem Jahr mit 81% ein wenig höher als in den zurückliegenden Jahren. Das heißt, dass 200 der gezählten Angriffe polizeibekannt sind und lediglich 30 Fälle nicht angezeigt wurden. In 18 Fällen ist es uns nicht bekannt.
Von den 200 polizeibekannten Angriffen sind aktuell 107 Fälle als „PMK rechts“ (Politisch motivierte Kriminalität rechts) gewertet, soweit dies aus den vom Innenministerium im Zuge kleiner Anfragen im Sächsischen Landtag herausgegebenen Straftaten "Politisch motivierte Kriminalität - rechts" hervorgeht.
2023 wurden knapp über die Hälfte der Angriffe (129) aufgrund von Rassismus, darunter antimuslimischer, antiromaistischer und antischwarzer Rassismus, verübt. Dies bedeutet einen Anstieg von 36% im Vergleich zu rassistisch motivierten Vorfällen im Jahr 2022 (95). Rassismus bleibt somit mit Abstand das häufigste Motiv unter den rechtsmotivierten Gewalttaten in Sachsen.
Ein deutlicher Anstieg ist auch bei antisemitisch motivierten Gewalttaten zu erkennen. In Sachsen wurden im Jahr 2023 sechs antisemitische Angriffe gezählt – drei davon standen in Zusammenhang mit dem Massaker vom 7. Oktober 2023, bei dem Hamas-Terroristen von Gaza aus Israel angriffen, mehr als 1.200 Menschen töteten und über 240 entführten. In diesem Kontext stiegen bundesweit antisemitische Vorfälle sprunghaft an. So wurden auch in Sachsen Menschen attackiert und antisemitisch beleidigt, die an Kundgebungen in Solidarität mit Israel und in Anteilnahme mit den Opfern des Massakers und ihren Angehörigen teilgenommen hatten. Doch auch zuvor registrierten die Beratungsstellen drei antisemitisch motivierte Angriffe.
Auch die gezählten Angriffe gegen Nichtrechte oder Alternative stiegen im Jahr 2023 um 26% auf 29 (2022: 23). Weniger Gewalttaten wurden hingegen gegen politische Gegner*innen verzeichnet. Diese Angriffe gingen um 35% auf 33 (2022: 51) zurück. Während in 2022 noch 12 Angriffen auf Journalist*innen darunter zählten, war es nur noch ein solcher Angriff im Jahr 2023. Ein Grund für diesen Rückgang dürfte darin zu finden sein, dass es weniger rechte Demonstrationen als in den Vorjahren gab, die regelmäßig Gelegenheit für Attacken auf unliebsame Begleiter*innen boten – sei es gegen Coronomaßnahmen, Energiekrise oder gegen die Aufnahme Geflüchteter, seien es Querdenker, Pegida oder Freie Sachsen, die zwar noch immer regelmäßig öffentlich auftreten, aber doch seltener und mit deutlich geringerem Zulauf als noch in den zurückliegenden Jahren.
Die Angriffe gegen LGBTIQ* bleiben mit 20 Angriffen auf einem ähnlich hohen Niveau wie im Vorjahr (2022: 21). Damit scheint sich der Anstieg vom letzten Jahr in den Fallzahlen zu verfestigen. Aber im Unterschied zum letzten Jahr fanden diese Angriffe nicht bei Demonstrationen, d.h. am Rande von CSDs statt, sondern vielmehr im öffentlichen Raum, im ÖPNV oder an Haltestellen oder aber im Wohnumfeld. Die Angriffe scheinen an Brutalität zuzunehmen, denn mit 14 ist der Anteil der Körverletzungen, davon acht gefährliche, hoch.
Vier Angriffe waren sozialdarwinistisch motiviert. In 26 Fällen blieb das konkrete Tatmotiv unklar, zumeist aufgrund mangelnder Angaben zum Themenfeld in den Antworten auf die monatlichen kleinen Anfragen zu PMK rechts im Sächsischen Landtag.
Überwiegend handelte es sich bei den Angriffen 2023 mit 63% um Körperverletzungsdelikte (157) – 84 einfache, 69 gefährliche Körperverletzungen, vier Körperverletzungen im Amt. Rassistisch motivierte Körperverletzungsdelikte machen hier reichlich die Hälfte aus und lassen sich in der Tatbegehung kaum festlegen: So begehen junge Neonazis gezielte Angriffe wie in Sebnitz, wo maskierte Männer ein von Geflüchteten bewohntes Haus angriffen. Spontan verübte Angriffe in der Gruppe, wie hier am Torgauer Bahnhof oder mit Waffen, wie hier in Chemnitz, machen einen Großteil der Körperverletzungen aus und zeugen von einer gefährlichen Gewaltbereitschaft von Rassist*innen.
In 32% der gezählten Vorfälle handelte es sich um Nötigung oder Bedrohung (79). Im Vergleich zum Vorjahr (47) ist das ein deutlicher Anstieg. Grund dafür kann einerseits in der seit 2021 gültigen Fassung des §241 StGB liegen, der mit dem Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität verschärft worden ist, andererseits aber auch an einer erhöhten Anzeigebereitschaft der Betroffenen von Bedrohungen. In der Tat haben solche Anfeindungen im Bereich der rechtsmotivierten Gewalt wieder eine zunehmende Bedeutung. Betroffene, insbesondere politische Gegner*innen, Nichtrechte aber auch von Rassismus und Antisemitismus Betroffene, sollen eingeschüchtert werden. In Bautzen bedrohten bekannte Neonazis zuerst Jugendliche in der Innenstadt und als sie sich im Jugendclub in Sicherheit gebracht hatten, umstellten die Angreifer diesen und versuchten sich Zutritt zu verschaffen. In Sebnitz bedrohte ein 67-jähriger Deutscher die benachbarte Familie mit einer Schreckschusspistole und feuerte die Waffe in die Luft ab – offenbar aus rassistischen Motiven. Die Täter*innen beanspruchen für sich und ihr Weltbild Dominanz, vor allem in Regionen, in denen extrem rechte Parteien, wie die AfD in Stadt- und Kreistagen und neonazistische Kleinstparteien wie III. Weg, die Heimat oder Freie Sachsen sowie Kameradschaften und Nazicliquen auf Straßen und Plätzen präsent sind.
Zudem zählten die Beratungsstellen neun massive Sachbeschädigungen, zwei sonstige Gewalttaten wie Raub oder Landfriedensbruch sowie eine Brandstiftung. Bei dieser versuchten Unbekannte ein als Unterkunft für Geflüchtete geplantes Gebäude anzuzünden. In der Nacht vom 29. auf den 30. September schütteten sie eine brennbare Flüssigkeit an die Fassade und legten eine Trasse, die sie entzündeten. Das Feuer erlosch, bevor es das Gebäude erreichte.
2023 wurden 31% (64) der Angriffe im öffentlichen Raum verübt, weniger häufig als in den zurückliegenden Jahren. Hingegen ist die Zahl der Angriffe auf Wohnungen bzw. im Wohnumfeld um 13% (27) angestiegen. Diese Fälle waren im Jahr 2022 auf nur 15 Fällen zurückgegangen. Unter den spezifisch benennbaren Angriffsorten sind neben Öffentlichen Verkehrsmitteln (22, Vorjahr 14), Bahnhöfe bzw. Haltestellen (23, Vorjahr 19) einer der häufigsten Orte rechtsmotivierter Gewalt.
Rechte Angriffe bei bzw. im Umfeld von Demonstrationen sind zurückgegangen. Gab es 2022 noch 33 in diesem Bereich, sank die Zahl im Jahr 2023 auf 17. Diese Verschiebung könnte eine Ursache dafür sein, dass weniger Menschen als politische Gegner*innen oder Journalist*innen angegriffen wurden. Angriffe im Demonstrationsumfeld richteten sich in der Vergangenheit vor allem gegen diese Betroffenengruppen.
Von den 248 Angriffen sind mindestens 380 Menschen direkt betroffen gewesen. Zum größten Teil waren dies Männer (136) und in erster Linie Erwachsene (204), aber auch Jugendliche (60) und Kinder (32) wurden aus rechten Motiven angegriffen. Damit wurden ein wenig mehr junge Menschen angegriffen als in den Jahren zuvor.
Beratung Betroffener rechtsmotivierte und rassistischer Angriffe 2023
2023 unterstützten, begleiteten und berieten die Beratungsstellen des RAA Sachsen e.V. in insgesamt 309 (2022: 253) Beratungsfällen. In diesen wurden 408 Menschen unterstützt, sowohl Betroffene als auch Angehörige, Freund*innen oder Zeug*innen. Ein Beratungsfall wird in der Jahressstatistik dann gezählt, wenn mindestens eine Unterstützungsleistung im Berichtsjahr erfolgt ist. In der Beratungsstatistik des RAA Sachsen e.V. werden Fälle, die durch den RAA Leipzig e.V. beraten werden, nicht berücksichtigt. In der Stadt Leipzig bieten sowohl der RAA Sachsen e.V. als auch der RAA Leipzig e.V. Beratung für Betroffene rechtsmotivierter und rassistischer Gewalt.
232 dieser Beratungsfälle wurden im Jahr 2023 neu begonnen, 77 stammen aus den zurückliegenden Jahren, vor allem aus 2022 und 2021.
130 der laufenden Beratungsfälle konnten abgeschlossen werden.
99 der 232 in 2023 neu begonnenen Beratungsfälle wurden im selben Jahr abgeschlossen, dabei handelte es sich häufig um Verweisberatungen aufgrund psychischer Erkrankung, rechtlicher Fragen oder Sonstiges, aber auch um Beratungen Betroffener mit wenig Unterstützungsbedarf bzw. konkretem Anliegen oder Informationsbedarf.
In 178 dieser Beratungsfälle war ein rechtsmotivierter Angriff Anlass für Betroffene, Unterstützung zu suchen. 131 dieser Beratungsfälle hatten einen anderen Beratungsanlass, z.B. Bedrohungen unterhalb der Gewalttat, Beleidigung, Diskriminierung oder rechtliche Fragen.
Die 178 Angriffe, die den Beratungsfällen zugrunde liegen, stammen nicht alle aus dem Jahr 2023. Es können ebenso Angriffe aus vergangenen Jahren sein, deren Betroffene jedoch noch immer von den Beratungsstellen unterstützt werden. Ein Beratungsfall kann sich je nach polizeilicher Aufklärung, juristischer Strafverfolgung oder notwendiger psychosozialer Beratung über mehrere Jahre erstrecken.
85 der 178 Angriffe, die Anlass von Beratungsfällen sind, fanden im Jahr 2023 statt. Das heißt auch, dass bei ca. einem Drittel der im Jahr 2023 gezählten Angriffe (248) Betroffene die Beratung des RAA Sachsen e.V. in Anspruch nahmen.
Bei den 178 Angriffen, die Anlass einer Beratung waren, handelt es sich vor allem um rassistisch motivierte Körperverletzungsdelikte (130) und Bedrohungen (32). Auch in zwei zurückliegenden Tötungsdelikten in Leipzig und Döbeln wurde weiterhin beraten.
Beratungsnehmende
In den 309 Beratungsfällen, die 2023 bearbeitet wurden, wurden insgesamt 408 direkt und indirekt Betroffene unterstützt: 306 direkt Betroffene, 16 Mit-Angegriffene, sowie 67 Angehörige, Freund*innen, Zeug*innen oder Personen des weiteren sozialen Umfelds. Diese Beratungsnehmenden waren zu über der Hälfte männlich und zu über 75% zwischen 18 und 60 Jahren alt.
Unterstützungsleistungen
Die Aufgaben der Opferberatungsstellen umfassen hauptsächlich psychosoziale Beratungsgespräche sowie die Vermittlung und Begleitung zu Rechtsanwält*innen, Ärzt*innen, Psycholog*innen oder weiteren passenden Angeboten. Zudem bieten sie Unterstützung für Betroffene und/oder Hinterbliebene während Entschädigungsverfahren. Die Berater*innen stehen den Betroffenen im Strafverfahren bei der Wahrnehmung ihrer Rechte zur Seite, begleiten sie zu Vernehmungen bei der Polizei oder zu Gerichtsverhandlungen und unterstützen sie bei der fallbezogenen Öffentlichkeitsarbeit.