Ein Licht gegen Antisemitismus
Am 22. Dezember um 17 Uhr werden wir gemeinsam mit der Jüdischen Gemeinde Görlitz/Zgorzelec und Umgebung e.V. die Chanukkia in der Wochentagsynagoge des Kulurforums Görlitzer Syngagoge entzünden. Warum? Das lest ihr in unserem Aufruf!
Ein Licht gegen Antisemitismus: Solidarität mit den Betroffenen in Görlitz, Sachsen und überall!
Lasst uns gemeinsam ein Licht zu Chanukka entzünden. Chanukka bedeutet auf Hebräisch Einweihung. Jüdinnen:Juden feiern mit diesem Fest die Weihung des 165 v.d.Z. im Kampf gegen die Seleukiden zurückgewonnenen Tempels in Jerusalem. Es heißt, als Leuchter sei bei der Weihung ein kleiner Krug genutzt worden, der nur Öl für einen Tag fassen konnte und der dennoch acht Tage lang gebrannt habe. Genau so lang, bis neues Öl geweiht worden war. Dieses Öl-Wunder habe den Sieg der Jüdinnen:Juden als göttliche Fügung ausgezeichnet. In Erinnerung an die erfolgreiche Selbstbehauptung des Judentums wollen wir am 22.12.2022, dem fünften Abend des Chanukka-Festes in diesem Jahr, gemeinsam mit der Jüdischen Gemeinde Görlitz/Zgorzelec und Umgebung e.V. fünf Lichter in der Wochentagsynagoge des Kulturforums Neue Synagoge in Görlitz entzünden.
Wir wollen mit dem Entzünden der Chanukkia aber auch darauf aufmerksam machen, dass Jüdinnen:Juden noch heute von einem grassierendem Antisemitismus bedroht sind: in Görlitz, Sachsen, Deutschland und der ganzen Welt. Vor wenigen Wochen erst, am 23. November, haben zwei Bombenanschläge Jerusalem erschüttert. Zwei Menschen wurden aus dem Leben gerissen und 18 weitere zum Teil schwer verletzt. Das Beispiel zeigt, dass Jüdinnen:Juden nicht einmal in Israel sicher sind, dem Staat, der auch als Reaktion auf ihre Vertreibung und Vernichtung im Zweiten Weltkrieg gegründet wurde. Doch auch in Deutschland hat Antisemitismus bald acht Jahrzehnte nach dem von Deutschen organisierten und durchgeführten Holocaust noch immer Konjunktur. Im Land der Täter:innen stieg die Anzahl antisemitischer Straftaten im Jahr 2021 um 30 Prozent auf vorläufig 3.028 Fälle an - ein neuer Höchststand seit Beginn der Aufzeichnung 2001. Die Dunkelziffer liegt vermutlich sogar noch höher, wie man auf Grundlage aktueller Studien des Bundesverbandes RIAS für Deutschland und speziell Sachsen annehmen darf.
Eine besondere Gefahr des Antisemitismus besteht darin, dass die Täter:innen aus allen gesellschaftlichen Gruppen und Milieus stammen. Die jüngsten Vorfälle in Essen, wo in der Nacht vom 17. auf den 18. November auf das ehemalige Rabbinerhaus beim Kulturzentrum Alte Synagoge geschossen wurde, oder in Bochum, wo in derselben Nacht ein Molotowcocktail auf eine an die örtliche Synagoge angrenzende Schule geschleudert wurde, sind vermutlich von einem 34-jährigen Deutsch-Iraner initiiert worden, der zugleich Mitglied eines Rockerklubs und der iranischen Revolutionsgarden sein soll. Der Attentäter, der an Jom Kippur 2019 in Halle eine Synagoge angriff und nicht durch effektive Sicherheitsmaßnahmen, sondern nur durch Glück von seinem Vorhaben abgehalten wurde, war ein 27-jähriger Deutscher, der bei seiner Mutter lebte, nachdem er fünf Jahre zuvor sein Studium als Chemielaborant abgebrochen hatte. Welche Verbreitung antisemitische Denk- und Handlungsmuster in allen gesellschaftlichen Schichten haben, machen auch die beiden folgenden Beispiele sichtbar: Nach dem Bekanntwerden der Anklage gegen den deutschen Sänger Gil Ofarim tauchte eine beachtliche Zahl an Stellungnahmen in den Sozialen Medien auf, die ihm vorwarfen, er hätte Antisemitismus zu seinem Vorteil instrumentalisieren wollen. Zu der Sache äußerte sich damals auch der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer in einer Weise, die antisemitisches Othering beförderte, indem er die Unterscheidung zwischen Deutschen und Jüdinnen:Juden unterstrich. Zudem warf er Gil Ofarim vor, durch sein Verhalten das deutsch-jüdische Verhältnis bedroht zu haben, was einer Umkehr der Realität nicht-jüdischer Täter:innen und jüdischer Betroffener gleichkommt. Besonders prominent hat schließlich die Debatte um antisemitische Darstellungen auf der diesjährigen Documenta 15 zur Schau gestellt, wie schwer sich selbst Vertreter:innen einer vermeintlich progressiven Kunst- und Kulturszene mit der Benennung und dem Umgang mit Antisemitismus tun.
Im Grunde kommentarlos nehmen wir in Sachsen inzwischen auch hin, dass bei nahezu jeder der Protestveranstaltungen, die seit über zwei Jahren gegen die Corona-Schutzmaßnahmen sowie neuerdings gegen alle möglichen Themen der Bundespolitik durchgeführt werden, antisemitische Bilder und Hetze bedient werden. Seien es Verschwörungsideologien, die in dualistischer Weise „die da oben“ oder irgendeine Gruppe, die im Hintergrund die Fäden zieht, für die eigenen Probleme verantwortlich erklärt. Oder seien es verletzende und geschmacklose Vergleiche mit der Verfolgung der Jüdinnen:Juden im Nationalsozialismus, die zur Selbstinszenierung als unschuldiges Opfer herangezogen werden. Die Rede vom „Great-Reset“, dem „großen Austausch“, die Warnung vor Klaus Schwab und ominösen Plänen des World Economic Forum sind schließlich von Plauen über Leipzig und Dresden bis nach Görlitz und Zittau zu vernehmen, ohne dass dagegen vehement eingeschritten wird. Nicht einmal die sächsischen Sicherheitsbehörden kommen ihrem selbst gesetzten Auftrag nach, dem Antisemitismus mit der ganzen Härte des Rechtstaates zu begegnen, was beispielsweise an der unterlassenen Verfolgung des am 13. Februar in Dresden wiederholt gezeigten Transparents mit der Aufschrift „Bombenholocaust“ sichtbar wird.
Bei der Verharmlosung des Antisemitismus und seiner Verbreitung immer vorne mit dabei sind auch Mitglieder der sogenannten Alternative für Deutschland, die als Abgeordnete im Bundestag, im Landtag oder im Kreis- und Stadtrat sitzen. Wir kennen die Äußerungen von Stephan Brandner, der als einer der drei stellvertretenden Bundessprecher zum engeren Führungskreis um den Zittauer Tino Chrupalla gehört, zur Verleihung des Bundeverdienstkreuzes an Udo Lindenberg. Jene von Alexander Gauland, der zuvor Bundesprecher war. Wir kennen auch die ultrarechte Gallionsfigur des „aufgelösten“ Flügels, Björn Höcke, die durch wiederholte Schlussstrichforderungen auffiel oder eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ forderte. Und wir kennen die stellvertretende Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Beatrix von Storch, die eine Art Netzwerk betreibt, in dem der jüdische Philanthrop George Soros als „international tätiger Strippenzieher“ diffamiert wird. Doch auch in Görlitz gibt es mit Jens Jäschke ein Parteimitglied, das schon durch antisemitische Äußerungen aufgefallen ist. 2020 gratulierte er der mehrfach verurteilten Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck zur Entlassung aus dem Gefängnis mit einem Post, in dem er sie als „Dissidentin“ und „Kämpferin für Meinungsfreiheit“ deklarierte. Sein jüngster Coup: Die Inszenierung eines kalkulierten Skandals, indem er die Ausladung eines Hobby-DJs und Parteifreunds aus dem Kulturraum „Kühlhaus“ mit dem Boykott von Jüdinnen:Juden in der Zeit des Nationalsozialismus verglich.
Trotz all dieser und vieler weiterer Beispiele geriert sich die sogenannte Alternative für Deutschland nur zu gerne als Anwältin jüdischen Lebens und versucht den Kampf gegen Antisemitismus als Feigenblatt für sich zu nutzen. Doch ihrer billigen Externalisierung, ihrer Betonung des Antisemitismus der Anderen, gehen wir nicht auf dem Leim. Daran können weder ihre unerbetenen Behauptungen, dass sie die Anliegen der Görlitzer Gemeinde unterstützen würde, noch ihr Beteiligungsversuch an der Finanzierung des jüngst auf der Neuen Synagoge platzierten Davidsterns etwas ändern. Denn unser Kampf gegen Antisemitismus und für die Sicherheit jüdischen Lebens unterscheidet nicht zwischen schwarz und weiß. Er richtet sich an ausnahmslos alle, die egal ob bewusst oder unbewusst, egal ob von links oder rechts, Antisemitismus für ihre Zwecke kultivieren.
Wenn auch Du den Antisemitismus nicht allein den Jüdinnen:Juden überlassen willst und ihn als eine Gefahr und Herausforderung für die gesamte Gesellschaft siehst, komm am 22.12. um 17 Uhr mit uns zum Kulturforum Görlitzer Synagoge.
Ausschlussklausel
Die Veranstaltenden behalten sich vor, von ihrem Hausrecht Gebrauch zu machen und Personen, die rechtsextremen Parteien oder Organisationen angehören, die der rechtsextremen Szene zuzuordnen sind oder bereits in der Vergangenheit durch rassistische, nationalistische, antisemitische oder sonstige menschenverachtende Äußerungen in Erscheinung getreten sind, den Zutritt zur Veranstaltung zu verwehren oder sie von dieser auszuschließen.