Neuigkeit 22. Juli 2022

Das Sommerfest des BgA-Ostsachsen: Bei jedem Wetter gegen Antisemitismus

Was soll ein Sommerfest im Herbst? Genau die Frage stellten wir uns, als wir am Morgen des 10. Juli bei lausigen Temperaturen und frischem Wind den Aufbau unseres Festes auf dem Gelände der Stiftung Weiterdenken begannen. Doch weder unsere Gäste noch wir haben uns den Tag durch den plötzlichen Herbsteinbruch vermiesen lassen. Es wäre auch wirklich zu schade gewesen, denn ein abwechslungsreiches Programm für Jung und Alt, Sportfans, Geschichtsliebhaber*innen und Genießer*innen stand bereit.

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Der Tag begann mit der Eröffnung der Ausstellungen „Was hast du da auf dem Kopf? – Kinderbuchausstellung zu jüdischem Leben“ sowie „‚Du hast eine weite Reise vor dir, mein kleiner Kal-El‘ – Die Entstehung jüdischer Comic-Helden“ des Hatikva e.V.. Während die erste Ausstellung acht Kinderbücher über das Judentum vorstellte und zum Probelesen bereitstellte, konnte in der zweiten Ausstellung die Entwicklung jüdischer Comic-Helden wie „Das Ding“ (Fantastische Vier) nachvollzogen werden, die ihren Ursprung in der Feder jüdischer Exilant*innen im Amerika der Great Depression und des Zweiten Weltkriegs hatten.

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Was die Autor*innen der Comics mit ihren Superhelden verbindet? Wenn es nach unseren Partner*innen vom Gefilte Fest Dresden e.V. geht, ist das ganz klar: Die Liebe zur jüdischen Küche, die es eben überall dort gibt, wo es auch Jüdinnen*Juden gibt – also fast überall. Entsprechend vielseitig waren auch die Speisen, die beim mehrstündigen Kochkurs des Vereins kennengelernt und verzehrt werden konnten. Kalt-heiße Tipps: Ein köstlicher Hummus – gemixt in nur zwei Minuten (Rezept siehe Foto) – sowie der Reissalat nach Ejnaw und Silvia.

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Gut versorgt konnten sich unsere Gäste auch der geistigen Kost des Sommerfests zuwenden. Beim Vortrag des KIW Gesellschaft e.V. „1700 Wörter über die Juden von Dresden“ und beim Kaffeekränzchen mit Wolfram Nagel von der Jüdischen Gemeinde zu Dresden erfuhren sie in welchem Auf und Ab sich das jüdische Gemeindeleben seit Anfang des 14. Jahrhunderts in Dresden entwickelte, welchen Beitrag Jüdinnen*Juden zur Entwicklung des Kulturlebens und der Stadtgesellschaft hatten und wie sich das Jüdische Gemeindeleben seit 1945 rekonstituiert und seit der Zuwanderung jüdischer Kontingentgeflüchteter ab 1990 ein weiteres Mal neu erfunden hat. Zum Nachlesen empfehlen wir die Broschüre des KIW Gesellschaft e.V. zur gleichnamigen Ausstellung.

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Bevor es am Nachmittag sportlich wurde, nahm uns der antifaschistische Laienchor Pir-Moll aus Pirna mit auf eine musikalische Reise. Dargeboten und inhaltlich eingeleitet wurden u.a. jiddische Lieder aus dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus wie „Tsu ejns zwej draj“ oder „Zog nit keyn mol“ von Hirsch Glik aber auch das Liebeslied „Tumbalalaika“, in dem die Geschichte eines jungen Mannes besungen wird, der seine Angebetete, in der jüdisch-orthodoxen Tradition des Diskurses um Wortbedeutungen und die Auslegung des Talmuds, in einem rätselhaften Frage-Antwort-Spiel testet. So viel sei verraten: Das Lösen der Rätsel ist für das Mädchen ein leichtes. Zum Nachhören hier eine Version des Liedes von The Barry Sisters.

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Nach diesem ersten musikalischen Höhepunkt erschallten laute Stopp-Rufe vom Gelände. Denn im Workshop zum israelischen Selbstverteidigungssystem Krav Maga - eine Kooperation mit dem JKP e.V. - erfuhren die Teilnehmer*innen nicht nur, wie es überhaupt zur Entwicklung des Kampfsports durch den jüdischen Boxer und Ringer Imrich Lichtenfeld kam, sondern auch, dass der einfachste Weg einen Kampf zu gewinnen noch immer ist, ihm aus dem Weg zu gehen. Für den Fall, dass dies nicht möglich sein sollte, lernten die Teilnehmenden dann aber auch mit welchen einfachen Mitteln und Techniken sich gegen Angriffe zur Wehr gesetzt werden kann.

Bewegt wurde sich auch beim zweiten Programmpunkt des frühen Abends. Auf einem ca. drei Kilometer langen Rundgang um das Kraftwerk Mitte führte die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Dresden e.V. zu verschiedenen Orten jüdischer Geschichte im Stadtviertel und informierte dabei über das Schächten oder jüdische Selbstorganisationen wie die Israelitische Krankenpflegegesellschaft, die sich von 1750 bis 1933 um die Bedürfnisse erkrankter Jüdinnen*Juden  in Dresden kümmerte. Inhalt des Rundgangs waren aber auch die schrecklichen Auswirkungen der nationalsozialistischen Verfolgungs- und Vernichtungspolitik, die am Schicksal des 1935 zu Tode gefolterten Journalisten Max Sachs sowie anhand der Geschichte der von 1938 bis 1942 auf der Fröbelstraße betriebenen jüdischen Schule nachgezeichnet wurden.

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Den Schlusspunkt unseres Sommerfestes setzte schließlich die Band Seau Volant, die mit ihrer Mischung aus Klezmer, Polka und Balkan hielt, was sie verspricht. Denn der fliegende Einer, so lautet der Name der Band übersetzt, motivierte auch noch die ältesten Besucher*innen zu tänzerischen Höchstleistungen.

Mit dem Untergang der Sonne, die sich letztlich doch noch zu uns gesellte, beendeten auch wir unser Fest. Und an dieser Stelle bleibt uns nichts weiter übrig als Danke zu sagen: Danke an alle Besucher*innen, Unterstützer*innen, Redner*innen und Musiker*innen. Nur durch euer Kommen wurde dieser rundum gelungene Tag möglich. Ein Tag, an dem wir gemeinsam deutlich gemacht haben, dass wir nicht gewillt sind dem grassierenden Antisemitismus, ob national oder international, tatenlos zuzusehen. Wir werden nicht ruhen, bis aktuelles und vergangenes Leben der Jüdinnen*Juden als selbstverständlicher Teil einer Gesellschaft der Vielen anerkannt werden.

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