Neuigkeit 22. Mai 2024

Solidarisch wählen – Demokratie stärken!

Zum Superwahljahr 2024 ruft das Bündnis gegen Antisemitismus in Dresden und Ostsachsen in Kooperation mit dem Bündnis gegen Rassismus dazu auf, solidarisch zu wählen und die Demokratie zu stärken. Hier lest ihr unseren Aufruf. Außerdem veröffentlichen wir hier Interviews, in denen Betroffene von Antisemitismus und Rassismus sowie ihre Verbündeten zu Wort kommen.

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Aufruf: #SolidarischWählen – Demokratie stärken!


Das Superwahljahr: (K)ein Grund zur Freude?

Mit den Kommunal- und Europawahlen am 9. Juni und der Landtagswahl am 1. September 2024 steht uns in Sachsen ein wahres Superwahljahr bevor.

Sich zu gleich drei Anlässen an richtungsweisenden Entscheidungen für die politische Entwicklung von Kommunen, Land und Europäischer Union beteiligen zu können, sollte für die wahlberechtigten Mitglieder einer demokratischen Gesellschaft ein Grund zur Freude sein. Das Recht durch Wahlen zuverlässig Einfluss auf die Regierungsbildung zu nehmen, ist historisch betrachtet nicht nur eine junge und gefährdete Errungenschaft, sondern auch eine ausgesprochen seltene. Global gesehen haben nur 7,8 Prozent der Weltbevölkerung das Privileg, wie wir in Deutschland in einer sogenannten „vollständigen Demokratie“ zu leben, die neben fairen Wahlen auch die Geltung umfassender Freiheitsrechte und die fortwährende Stärkung einer demokratischen Kultur garantiert.

Sächsische Verhältnisse: Die Demokratie am Scheidepunkt

Blicken wir in die Gegenwart Sachsens, ist unsere Freude vor dem sogenannten Fest der Demokratie, den anstehenden Wahlen, jedoch getrübt: Mit großer Sorge beobachten wir den massiven Vertrauensverlust in die demokratischen Institutionen, die gravierende Zunahme gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit sowie die weite Verbreitung von Verschwörungsdenken in der sächsischen Bevölkerung. Diese Einstellungen stehen nicht nur in einem engen Wechselverhältnis mit den Mobilisierungserfolgen rechtsextremer Parteien und Organisationen in Sachsen. Sie haben auch zu einer Verschiebung der politischen „Mitte“ nach rechts beigetragen. Seit der letzten sächsischen Kommunalwahl 2019 haben die Parteien der Mitte bereits in verschiedenen Gemeinden und zu verschiedenen Anlässen den Schulterschluss mit Rechtspopulist*innen und -extremen gesucht. Gemeinsam haben sie versucht die politischen Spielräume der Zivilgesellschaft einzuschränken oder die Lebensbedingungen von Geflüchteten zu erschweren. Verweisen möchten wir hierbei explizit auf die jüngsten Entscheidungen des Dresdner Stadtrats, in dem ein Mitte-Rechts-Block voreilig für die Einführung der Bezahlkarte für Geflüchtete sowie die Abkehr vom Konzept des „sicheren Hafens“ stimmte.

Die wiederkehrenden Angriffe auf die Brandmauer nach Rechtsaußen in den Kommunen sind aber nur die eine Seite der Herausforderung für die Demokratie in Sachsen. Auch von der Landesebene geraten Freiheitsrechte und demokratische Kultur zunehmend unter Druck: Der sächsische Rechnungshof versuchte mit seinem Sonderbericht zur Richtlinie Integrative Maßnahmen, das staatliche Neutralitätsgebot gegen die politische Autonomie der Zivilgesellschaft auszuspielen. Die Regierungskoalition arbeitet derweil an einem neuen Versammlungsgesetz, das pünktlich zur Landtagswahl am 1. September in Kraft treten und das ohnehin schon restriktive Versammlungsrecht in Sachsen weiter verschärfen soll. Wenn Rechtsextreme wirklich, wie prognostiziert, mit 33 Prozent (oder mehr) der Sitze in den Landtag einziehen sollten und ihren Einfluss auf etwaige Verfassungsänderungen oder die Wahl von Verfassungsrichter*innen geltend machen, dann sehen wir die Demokratie in Sachsen an einem kritischen Scheidepunkt. Es stellt sich die Frage: Wie soll die selbstbewusste Behauptung von Demokrat*innen unter solchen Bedingungen überhaupt noch gelingen?

Hass und Hetze auf dem Vormarsch

Die ganze Dringlichkeit, mit der die Demokratie in Sachsen gestärkt werden muss, macht besonders ein Perspektivwechsel deutlich. Und das ist der Wechsel hin zur Perspektive derjenigen, deren Stimmen strukturell ausgegrenzt oder als nicht dazugehörig erklärt werden. Bei der letzten Landtagswahl in Sachsen 2019 waren 783.328 Menschen und damit annähernd 20 Prozent der Einwohner*innen Sachsens nicht wahlberechtigt.[1] Zu dieser Gruppe zählten deutsche Staatsbürger*innen unter 18 Jahren, Menschen mit Behinderung, die in allen Angelegenheiten betreut werden müssen,[2] sowie Menschen, die nicht die deutsche Staatsbürger*innenschaft besitzen. Der Wahlausschluss erheblicher Bevölkerungsteile stellt ebenso wie strukturelle Einschränkungen, z.B. die mangelnde Barrierefreiheit von politischer Bildung oder Wahlbüros, ein grundsätzliches Legitimationsproblem für eine demokratische Gesellschaft dar. Und dies gilt insbesondere, wenn wir auf den Lebensalltag von Betroffenen von Antisemitismus und Rassismus blicken.

Als deutsche Staatsbürger*innen sind längst nicht alle Betroffenen von Antisemitismus und Rassismus vom Wahlrecht ausgeschlossen.[3] Dennoch teilen sie einen gemeinsamen Erfahrungsraum, der schon jetzt von Alltagsdiskriminierungen und Ausgrenzung in der Schule, auf Arbeit oder im Wohnumfeld bis hin zu massiven Angriffen auf ihre körperliche Unversehrtheit reicht. So verzeichnete die Statistik der Beratungsstelle Support 2023 bereits ohne die mobilisierenden Effekte eines rechtsextremen Wahlerfolges einen Anstieg rassistisch motivierter Gewalttaten um 36 Prozent auf 129 Fälle. Und eine dramatische Zunahme ließ sich auch im Bereich der antisemitischen Straftaten beobachten: Von 2022 auf 2023 stieg die Anzahl der polizeilich aufgenommen Fälle in Sachsen um 63 Prozent auf nunmehr 276 an.[4] Die Dunkelziffer liegt in beiden Fällen deutlich höher.

Demokratie statt Populismus: Geht solidarisch wählen!

Wir wissen, dass sowohl Antisemitismus als auch Rassismus in der gesamten Gesellschaft verbreitet sind. Das hat insbesondere der Terroranschlag der Hamas am 7. Oktober 2023 auf Israel verdeutlicht, in dessen Zuge es auch in Deutschland zu einem dramatischen Anstieg antisemitischer Straf- und Gewalttaten aus allen politischen Lagern und gesellschaftlichen Milieus kam. Dennoch sind wir der festen Überzeugung, dass der entschiedene Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus nicht mit Populismus, sondern nur in einer offenen und starken demokratischen Gesellschaft gewonnen werden kann. Solidarität und Argumente müssen über Hass und Hetze obsiegen.

Wir wollen die Demokratie in Sachsen stärken. In den kommenden Wochen werden wir Interviews in Schrift-, Ton- und Videoformat veröffentlichen, in denen die Betroffenen von Antisemitismus und Rassismus sowie ihre Verbündeten ihren Blick auf die aktuelle gesellschaftliche Lage, die anstehenden Wahlen und ihre Wünsche teilen. Unser Aufruf:

Hört diese Stimmen an! Nehmt sie ernst und sprecht darüber! Berücksichtigt sie bei eurer Wahlentscheidung!

Lassen wir die Betroffenen von Antisemitismus und Rassismus nicht allein und stärken wir mit unseren Stimmen jene Kräfte, die für eine demokratische Zukunft einstehen. Geht solidarisch wählen!

Aufruf im Dilemma: An die demokratischen Parteien

Und zum Abschluss noch einige Worte an die, für deren Wahl wir uns hier aussprechen: In Anbetracht der vielen ausgelassenen Chancen eine sicherere, freiere, demokratischere und gerechtere Gesellschaft zu gestalten, schreiben wir diesen Aufruf auch mit Zerrissenheit und Verbitterung. Die unmittelbar anstehenden gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen wie die Verwirklichung von Klimagerechtigkeit, sozialer Gerechtigkeit und umfassender demokratischer Mitbestimmung sind immens. Sie erfordern eine mutige und visionäre Politik statt leerer Versprechungen und Parolen. Beweisen Sie, dass unser Vertrauen gerechtfertigt ist. Gehen Sie diese Probleme entschieden an. Wer weiß, wie viel Zeit Ihnen und uns dafür noch bleibt.   




[1] Die Zahlen sind aus den öffentlichen Bekanntmachungen des Freistaates Sachsen zur Einwohner*innenzahl 2019 sowie zur Wahlbeteiligung bei der Landtagswahl 2019 errechnet. Siehe dazu: https://wahlen.sachsen.de/landtagswahl-2019-wahlergebnisse.php; https://www.statistik.sachsen.de/download/presse-2020/mi_statistik-sachsen_070-2020_bevoelkerung-dezember-2019.pdf

[2] Im Hinblick auf Menschen mit Behinderung hat es 2021 eine Wahlrechtsreform in Deutschland gegeben, die zu einem inklusiveren Wahlrecht führte. Siehe dazu: https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/wahlen/bundestagswahl/inklusives-wahlrecht-darum-sind-menschen-mit-behinderung-erstwaehler-bei-bundestagswahl-100.html. Außerdem wurde das Mindestalter für die Europawahl 2024 in Deutschland auf 16 Jahre herabgesetzt. Siehe dazu: https://www.tagesschau.de/europawahl/wahl/wahlalter-16-100.html. Grundsätzlich ist zu beachten, dass für jede der drei anstehenden Wahlen (Kommunal-, Europa- und Landtagswahl) unterschiedliche Wahlvoraussetzungen bestehen.

[3] Bei der Landtagswahl in Sachsen 2019 hatten z.B. 105.236 wahlberechtigte Deutsche eine Migrationsgeschichte. Siehe dazu: https://www.integrationsmonitoring-laender.de/indikatoren-a-bevoelkerung-demografie-a3-wahlberechtigte-deutsche-mit-migrationsgeschichte.html


[4] Die Zahlen basieren auf unserer Auswertung der Kleinen Anfragen von Kerstin Köditz (MdL, Die Linke) zu „Politisch motivierter Kriminalität“ im sächsischen Landtag. Die Kleinen Anfragen können hier recherchiert werden: https://edas.landtag.sachsen.de/

[kurz und einfach]

Solidarisch wählen – Demokratie stärken!

Am 9. Juni 2024 finden die Kommunal- und Europawahlen in Sachsen statt. Der sächsische Landtag wird am 1. September 2024 gewählt. Damit steht uns in Sachsen ein Superwahljahr bevor. Das sollte ein Grund zur Freude sein, denn das Recht auf faire Wahlen ist keine Selbstverständlichkeit.

Blicken wir auf die Wahlen in Sachsen können wir uns nicht so richtig freuen. Mit Sorge beobachten wir den Verlust von Vertrauen in Parteien, Parlamente und Regierung. Sorgen bereiten uns aber auch die Zunahme von Antisemitismus und Rassismus sowie der Glaube an Verschwörungen. Das alles führt zu einer immer größeren Zustimmung für rechtsextreme Parteien. Und damit steigt auch ihr Einfluss auf die Politik. Einige demokratische Parteien arbeiten schon seit den letzten Wahlen mit rechtsextremen Parteien zusammen. Dadurch wurde der Alltag von engagierten Menschen und Geflüchteten erschwert. Im Dresdner Stadtrat wurde zum Beispiel entschieden, dass Geflüchtete kein Bargeld mehr bekommen sollen. Und der Freistaat Sachsen will soziale Vereine daran hindern, sich zu politischen Themen zu äußern. Die sächsische Regierung plant außerdem, das Recht auf politische Versammlungen einzuschränken. Damit greift sie ein wichtiges Grundrecht auf Mitbestimmung an.

Wenn der Einfluss von rechtsextremen Parteien bei den Wahlen weiter zunimmt, dann sehen wir die Demokratie in Sachsen endgültig in Gefahr. Mit einem Drittel der Stimmen könnten rechtsextreme Parteien zum Beispiel Einfluss auf Änderungen der Verfassung nehmen. Uns stellt sich die Frage: Wie demokratisch kann Sachsen dann noch sein?

Das alles ist schlimm genug. Dazu kommt aber noch, dass viele Menschen, die von dieser Politik betroffen sind, oft selbst nicht wählen dürfen. Bei der letzten Landtagswahl in Sachsen waren zum Beispiel fast 20 Prozent der Bevölkerung nicht wahlberechtigt. Zu dieser Gruppe gehörten Personen unter 18 Jahren, viele Menschen mit Behinderung sowie Menschen ohne deutschen Pass. Die Wahlen geben also nicht die Meinung der ganzen Bevölkerung wieder. Nicht alle Menschen werden gleichbehandelt.

Auswirkungen hat das vor allem für das Leben von Personen, die direkt von Antisemitismus und Rassismus betroffen sind. Selbst wenn sie Deutsche sind, machen sie in ihrem Alltag häufig schreckliche Erfahrungen. Sie werden beleidigt, bedroht oder angegriffen. Das kann ihnen in der Schule, auf Arbeit oder auf der Straße passieren. In den letzten Jahren geschehen solche Angriffe immer häufiger. Die Angreifenden sind nicht immer rechtsextrem. Antisemitismus und Rassismus sind in der ganzen Gesellschaft verbreitet, auch in allen Parteien. Ganz deutlich haben das die Reaktionen auf den Terroranschlag der Hamas auf Israel gezeigt.

Trotzdem wollen wir die Demokratie nicht aufgeben. Im Gegenteil: Wir denken, dass der Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus mehr statt weniger Demokratie braucht. Zusammenhalt und Mitbestimmung müssen gestärkt werden. Solidarität muss über Hass und Hetze siegen.

Wir wollen die Demokratie in Sachsen stärken. Dazu teilen wir in ab jetzt Interviews, in denen Menschen, die von Antisemitismus und Rassismus betroffen sind, sowie ihre Unterstützer*innen sprechen. Hört diese Stimmen an! Nehmt sie ernst und sprecht darüber! Und beachtet sie bei eurer Wahlentscheidung! Geht solidarisch wählen! Wir lassen die Betroffenen von Antisemitismus und Rassismus nicht allein.

Zum Schluss möchten wir auch die demokratischen Parteien ansprechen:

Wir schreiben all das mit Ärger und Frust. Auch wir sind enttäuscht. Sie haben in den vergangenen Jahren viele Chancen versäumt und falsche Entscheidungen getroffen. Klimawandel, soziale Ungleichheit und Ausgrenzung werden nicht entschieden bekämpft. Wir haben keine Zeit mehr. Werden Sie aktiv. Wir brauchen jetzt mutige Politik statt leerer Versprechen.




Chabad Lubawitsch: "Wir möchten uns gerne nicht verstecken müssen"

„Wir möchten uns gerne nicht verstecken müssen“ 

Interview mit Uwe Kuhnt von Chabad Lubawitsch Sachsen

Lieber Uwe Kuhnt, du bist der Assistent von Rabbiner Havlin bei Chabad Lubawitsch Sachsen in Dresden. Stell euch doch bitte kurz vor: Wer seid ihr? Was sind die aktuellen Schwerpunkte eurer Tätigkeit? 

Chabad Lubawitsch Sachsen ist ein eingetragener Verein und eine orthodoxe jüdische Gemeinde. Wir haben aktuell ca. 350 Mitglieder und sind über einen Kooperationsvertrag mit dem Landesverband Sachsen der Jüdischen Gemeinden assoziiert. Darüber hinaus bilden wir einen Verband mit 20 weiteren Chabad-Gemeinden in Deutschland. International stehen wir in Verbindung mit Gemeinden in über 100 Ländern.

Der Schwerpunkt unserer Arbeit liegt in der Organisation unseres Gemeindelebens. Wir begehen gemeinsam den Schabbat sowie jüdische Feiertage und bieten einen Seniorentreff und Sozialberatung. Außerdem führen wir eine Tora Schule für Erwachsene und Kinder und geben Hebräisch Unterricht. Des Weiteren haben wir zwei Gruppen für jüdische Kinder mit Tagesmüttern.

Wir leben in einer Zeit multipler Krisen und politischer Polarisierung: Wie blickt ihr auf die aktuelle politische Lage? Welche Auswirkungen spürt ihr konkret in eurem Tätigkeitsfeld?

Durch die Corona-Pandemie und auch durch den 7. Oktober sind unsere Mitglieder enger zusammengerückt. Das Gemeindeleben ist sehr aktiv und wir helfen einander. Dennoch gibt es viele Ängste und Sorgen, insbesondere unter den Israelis unter uns. Wir sorgen uns vor dem wachsenden Antisemitismus, auch gegen Israel.

Deutschland sehen wir vor dem Scheideweg hin zu einem großen Rechtsruck – wir befürchten aber auch einen starken Zuwachs des Antisemitismus aus Richtung des fanatischen Islams und der deutschen Linken. Wird das so weiter gehen, sehe ich, dass sich viele Juden, insbesondere die jüngeren, mit der Auswanderung nach Israel beschäftigen werden. Und das wohl auch in die Tat umsetzen.

2024 stehen drei richtungsentscheidende Wahlen in Sachsen bevor (Kommunal-, Europa- und Landtagswahlen). Mit welchen Gefühlen blickt ihr auf die möglichen Stimmgewinne für rechtsextreme Parteien? Was würde ein wachsender Einfluss von rechtsextremen Kräften für euch und eure Organisation bedeuten? 

Schon jetzt haben die meisten jüdischen Menschen Angst, sich offen als Juden zu zeigen. Sie tragen keine Kippa oder andere Symbole, sprechen möglichst kein Hebräisch in der Öffentlichkeit. All das beschränkt sich auf die Gemeinde, sie ist unser „Safe-House“. Wird sich die öffentliche Meinung im Zuge der Wahlen weiter radikalisieren, denke ich, dass sich diese Tendenzen weiter verstärken.

Gesamtgesellschaftlich sehen wir bei der Justiz häufig zu wenige Sanktionen gegen Judenfeindlichkeit. Und auch in den Medien wird der Ton unsachlicher bzw. entspricht er häufig nicht den Tatsachen. Wir beobachten z.B. mit Sorge, dass O-Töne der Hamas als wahr angesetzt werden.

Solange die Zugewinne für rechtsextreme Parteien beschränkt bleiben und sie keinen Einfluss auf die Legislative bekommen, hoffen wir, dass sich die Dinge nicht dramatisch verschlimmern werden. Das gilt besonders mit Blick auf die Justiz und die Sicherheitsbehörden. Ihre Ausbildung und ihre Verpflichtung auf Recht und Gesetz sollten zunächst vor einer tiefergehenden Indoktrinierung schützen.

Zum Glück sind die Wahlen noch nicht verloren: Welche Erfolge eurer Arbeit würdet ihr gerne verstetigen, statt euch zu sorgen?

Einer unserer größten Erfolge ist sicherlich, dass wir ab 2025 über den „Vertrag des Freistaates Sachsen mit dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden“ finanziert werden.  In den letzten 20 Jahren haben wir es aber auch aus eigener Kraft geschafft, die Mittel für unser Gemeinde-Leben zu erwirtschaften – im Gegensatz zu vielen anderen Gemeinden. Wir hoffen, dass nun Kapazitäten bei uns freigesetzt werden, die wir z.B. für eine intensivere Mitarbeit in politischen Gremien nutzen möchten.

Daneben ist uns vor allem wichtig, die Integration der ukrainischen Juden in unsere Gemeinde fortzusetzen. Eine der dringendsten Aufgaben ist es hierbei, sie in Arbeit zu bringen.

Zwei letzte Fragen: Welche Wünsche habt ihr an (Nicht-) Wähler:innen in Sachsen? Was erwartet ihr von den demokratischen Parteien in der kommenden Legislaturperiode?

Das ist einfach: Geht alle wählen, macht von euren demokratischen Rechten gebrauch und schaltet euer Hirn ein!

Von den demokratischen Parteien wünschen wir uns weiterhin eine starke moralische Unterstützung des jüdischen Lebens in Sachsen und in Dresden sowie ein Werben für Akzeptanz in der breiten Bevölkerung. Wir möchten uns gerne, wie auch andere Minderheiten, nicht verstecken müssen – aber dieser Wunsch ist und bleibt eine Illusion in Deutschland.




Support DD: "Eine pluralistische Gesellschaft ist kein Ort für Wenige, sondern für Viele"

„Eine pluralistische Gesellschaft ist kein Ort für Wenige, sondern für Viele.“ 

Interview mit den Berater:innen von SUPPORT Dresden

Liebes Team von SUPPORT Dresden, stellt euch bitte kurz vor: Wer seid ihr? Was sind die aktuellen Schwerpunkte eurer Tätigkeit?

Wir sind die Dresdner Beratungsstelle Support der RAA Sachsen, mit weiteren Standorten in Leipzig, Chemnitz, Görlitz, Plauen und einer zusätzlichen Onlineberatung. Unser Team besteht aus 15 Beratenden. Wir beraten und begleiten Menschen, die rechte, rassistische und antisemitische Gewalt erlebt oder beobachtet haben. Wir unterstützen bei der Bearbeitung der Angriffsfolgen und rechtlichen Fragen, begleiten zu Polizei und Gericht, federn finanzielle Notlagen ab, leisten Öffentlichkeitsarbeit u.v.m.

Um das Thema rechte Gewalt weiter sichtbar zu machen und einen solidarischen Umgang im gesellschaftlichen Diskurs zu verankern sind wir Teil verschiedener Bündnisse.

Wir leben in einer Zeit multipler Krisen und politischer Polarisierung: Wie blickt ihr auf die aktuelle politische Lage? Welche Auswirkungen spürt ihr konkret in eurem Tätigkeitsfeld?

Wir beobachten die Zunahme rechter Gewalttaten und ein bedrohlicheres Klima innerhalb der Gesellschaft. Insbesondere die letzten Jahre in Sachsen zeigten, dass rassistische Diskurse zu konkreten Angriffen auf geflüchtete und migrierte Menschen, politisch Aktive und Journalist*innen geführt haben. Unter anderem sind der öffentliche Raum, das Wohnumfeld, Schule und öffentliche Verkehrsmittel potentiell gefährliche Orte für alle Menschen, die nicht in das Bild rechter Ideologien passen.

Die Zuspitzung politischer Polarisierungen und die Auswirkungen weltweiter Krisen werden durch rechte Akteur*innen instrumentalisiert, so dass rechte Positionen bestärkt und gesellschaftsfähiger werden.

Mit Blick auf diese Entwicklung nehmen wir eine Zunahme der Gewaltbereitschaft sowie eine Zunahme von Bedrohungen und Angriffen wahr. Darüber hinaus sehen wir menschenfeindliche Alltagserfahrungen als einen ständigen Begleiter von Betroffenen. Der gesellschaftliche Raum wird zunehmend ein unsicherer Raum.

2024 stehen drei richtungsentscheidende Wahlen in Sachsen bevor (Kommunal-, Europa- und Landtagswahlen). Mit welchen Gefühlen blickt ihr auf die möglichen Stimmgewinne für rechtsextreme Parteien? Was würde ein wachsender Einfluss von rechtsextremen Kräften für euch und eure Organisation bedeuten?

Wir blicken mit Sorge auf die diesjährigen Wahlen. Ein wachsender Einfluss rechtsextremer Parteien und Akteur*innen gerade in den kommunalen Gremien und Stadträten wird dabei zu einer großen Herausforderung. Langjährige zivilgesellschaftliche Entwicklungen und Fortschritte werden vermutlich zurückgedrängt, was zur Normalisierung menschenfeindlicher Alltagserfahrungen führen wird. Neben den strukturellen Veränderungen und Kürzungen für Demokratieprojekte, Beratungsstellen und Initiativen, befürchten wir eine zunehmende Entpolitisierung und Dethematisierung rechter Gewalt als gesellschaftliches Problem. Ein solidarischer Umgang wird erschwert und Betroffene können weniger in der Wahrnehmung ihrer Rechte unterstützt werden.

Zum Glück sind die Wahlen noch nicht verloren: Welche Erfolge eurer Arbeit würdet ihr gerne verstetigen, statt euch zu sorgen?

In den letzten Jahren hat sich in Sachsen ein breites Netzwerk an demokratischen Organisationen entwickelt und eine starke Zivilgesellschaft aufgebaut. Auch über die Wahlen hinaus werden die Bündnisse und Netzwerke an der Seite von Betroffenen stehen. Diese Solidarität wünschen wir uns, auch ungeachtet der Wahlergebnisse.

Zwei letzte Fragen: Welche Wünsche habt ihr an (Nicht-) Wähler:innen in Sachsen? Was erwartet ihr von den demokratischen Parteien in der kommenden Legislaturperiode?

Von den etablierten demokratischen Parteien erwarten wir ein Entgegenstellen gegen rechte, rassistische und antisemitische Gewalt und das Eintreten für eine pluralistische, solidarische Gesellschaft.

Wir erwarten eine klare Position für Menschenrechte für Alle und gegen Hass und Hetze. Darüber hinaus erwarten wir eine Politik für Alle. Gegen Zuschreibungen und Abwertungen, als Reflex auf rechte Narrative. Eine pluralistische Gesellschaft ist kein Ort für Wenige, sondern für Viele.




GefilteFest: "Kultur, wie wir sie verstehen, kann nur in einer demokratischen Gesellschaft entstehen

„Kultur, so wie wir sie verstehen, kann nur in einer demokratischen Gesellschaft entstehen“

Interview mit Kai Lautenschläger von Gefilte Fest e.V.

Lieber Kai Lautenschläger, du bist einer der Vorstände des Gefilte Fest e.V.: Stell euch doch bitte kurz vor: Wer seid ihr? Was sind die aktuellen Schwerpunkte eurer Tätigkeit?

Wir sind der Gefilte Fest Dresden e.V., ein kleiner Verein mit derzeit 13 Mitgliedern. Als Verein sind wir Gründungsmitglied im Landesverband Jüdischer Gemeinden und Einrichtungen in Sachsen e.V. (LVJG) und Mitglied im BgA-Ostsachen des RAA Sachsen e.V.. Wir sind in der Steuerungsgruppe Alter Leipziger Bahnhof der Landeshauptstadt Dresden vertreten und Mitglied in der Jury für die Auslobung eines Betreiberkonzept für eine Jüdische Begegnungsstätte am Alten Leipziger Bahnhof. Das Kulturamt fragt uns für viele Entwicklungsprojekte als Akteur*in für Diskussionen und Beratungen an. Wir erhalten keine institutionelle Förderung und auch keine anderen dauerhaften Zuwendungen außer private Spenden. Unser Schwerpunkt ist das Vermitteln jüdischer Kultur und die diesbezügliche Völkerverständigung über den Weg gemeinsamer sinnlicher Erfahrungen beim Kochen und Essen, da die Kochtradition sowie rituelle Speisen im Judentum eine exponierte Stellung einnehmen.

Wir leben in einer Zeit multipler Krisen und politischer Polarisierung: Wie blickt ihr auf die aktuelle politische Lage? Welche Auswirkungen spürt ihr konkret in eurem Tätigkeitsfeld?

Während wir die Corona-Pandemie trotz eines leichten Mitgliederverlusts überraschend gut überstanden haben, ist die Doppelbelastung durch den Angriff der Hamas auf Israel und den sich daraus ergebenden Krieg in Gaza für uns eine echte Herausforderung. Wir hatten viel mit Ängsten von Mitgliedern, Sponsoren, Kooperationspartner*innen und Besucher*innen unserer Veranstaltungen zu kämpfen. Außerdem hat diese Verunsicherung die Normalisierung nach Corona deutlich erschwert. Die Inflation haben wir deutlich gespürt, waren aber finanziell so sicher aufgestellt, dass wir diese Herausforderung gut meistern konnten.

Obwohl in Diskussionen unter den Mitgliedern Aspekte wie die Sicherheit bei Veranstaltungen, nahende politische Veränderungen und die potentielle Angst von Besucher*innen deutlich häufiger auftreten, haben wir im direkten Kontakt mit unseren Gästen kaum einen Wandel festgestellt. Und wenn, dann nur im Guten: Diejenigen, die uns zugeneigt sind, haben ihre Unterstützung viel deutlicher zum Ausdruck gebracht.

2024 stehen drei richtungsentscheidende Wahlen in Sachsen bevor (Kommunal-, Europa- und Landtagswahlen). Mit welchen Gefühlen blickt ihr auf die möglichen Stimmgewinne für rechtsextreme Parteien? Was würde ein wachsender Einfluss von rechtsextremen Kräften für euch und eure Organisation bedeuten?

Wir sehen den Wahlen einerseits mit Zuversicht entgegen, da die Mehrheit der Sächs*innen sich demokratischen Parteien zuwendet. Andererseits haben wir große Sorge bezüglich der Kultur- und Sozialpolitik. Wir erwarten eine Erschwernis, unsere Vereinsziele der Förderung der internationalen Zusammenarbeit und der Völkerverständigung zu erreichen. Diese Sorgen werden zusätzlich verstärkt, weil durch die internationalen Krisen derzeit ohnehin eine Mittelknappheit insbesondere Seitens der Kommune zu erwarten steht (und ja, teilweise auch schon katastrophale Auswirkungen zeigt). Als problematisch sehen wir perspektivisch auch das Bild von Kultur, was durch rechte und rechtsextreme Parteien angepeilt wird.  Der Fokus auf Hoch-, Lederhosen- und Bergmannschorkultur wird immer weniger Raum für partizipative und gesellschaftskritische Konzepte lassen und Schritt für Schritt zu einer kulturellen Gleichschaltung führen.

Mittelfristig sehen wir auch schwere Herausforderungen für die Unabhängigkeit der Justiz auf uns zukommen. Zum einen wird die Platzierung rechtsextremer Personen im System anhaltende Wirkung zeigen und zum anderen wird sie nur schwer rückgängig zu machen sein.

Die Sicherheitsbehörden erleben wir im direkten Kontakt sehr unterschiedlich. Die Beamt*innen vor Ort sind meist sehr hilfsbereit und reagieren adäquat. Fragezeichen löst hingegen so mancher Kontakt mit der Verwaltungs- und Leitungsebene aus. Während manchmal ein unverständlich hoher Aufwand zu unserem Schutz betrieben wird, werden mir ein anderes Mal einfach links liegen gelassen. Woran das genau liegt, können wir nicht einschätzen.

Unsere Mitarbeit in Gremien sehen wir vorerst nicht in Gefahr, allerdings wird die inhaltliche Arbeit vermutlich erheblich schwieriger.  

Zum Glück sind die Wahlen noch nicht verloren: Welche Erfolge eurer Arbeit würdet ihr gerne verstetigen, statt euch zu sorgen?

Wir würden sehr gerne die Selbstverständlichkeit der Veranstaltungen und der Kooperationen wieder erreichen, die vor Corona bestanden hat. Wir sind derzeit in der günstigen Lage, nur durch die Menge an Engagement von Mitgliedern und Helfenden in unseren Projekten beschränkt zu sein. Wir möchten weitere Mitglieder gewinnen und Menschen zum Engagement für unsere Sache bewegen. Dafür wollen wir unsere erprobten Formate einsetzen und - wie bisher - auch die Veränderung und Neuerfindung von Formaten und Kooperationen weiter betreiben. Wir sind auch zuversichtlich, dass die derzeit etwas aufgebrachte Stimmung innerhalb der jüdischen Community sich in den kommenden Jahren beruhigen und normalisieren wird, sodass auch hier eine einfachere Zusammenarbeit möglich wird. Derzeit entwickelt sich eine gute Zusammenarbeit mit der Jüdischen Kultusgemeinde. In den vergangenen Jahren haben wir außerdem mit mehreren Restaurants, die vorher nie mit dem Thema Judentum und jüdische Küche zu tun hatten, sehr fruchtbare Kooperationen erlebt, die oft auch nicht ganz leicht waren. Die Rückmeldungen zu unseren Veranstaltungen sind sehr ermutigend und zeigen, dass das Konzept der Begegnung auf einer sinnlichen Ebene sehr gut aufgeht.

Alles gesagte hat enge Beziehungen zu einer großen gesellschaftlichen Vielfalt und deren Entfaltung. Um diese Vielfalt (und damit die beschriebenen Möglichkeiten und Wünsche) zu erhalten oder auszuweiten ist jede Wähler*innenstimme wichtig. Erstens, weil jede Stimme eine einmalige Äußerung ist und dadurch vorhandene Vielfalt in der Gesellschaft politisch macht. Außerdem ist es auch wichtig, Parteien zu wählen, die den Wert von Vielfalt und Unterschiedlichkeit erkennen, fördern und als Chance verstehen. Eine Kultur, so wie wir sie verstehen, kann nur in einer zutiefst demokratischen Gesellschaft entstehen und erhalten werden. Ganz persönlich bemerken wir, wie die die Beschäftigung mit positiven Aussagen (Was soll geschehen? Wo wollen wir hin? Was ist wichtig für die Gesellschaft?) eine viel gesündere Produktivität in uns erzeugt, als das Ablehnen von vermeintlich verfehlten Wegen.

Zwei letzte Fragen: Welche Wünsche habt ihr an (Nicht-) Wähler:innen in Sachsen? Was erwartet ihr von den demokratischen Parteien in der kommenden Legislaturperiode?

Von den Nichtwähler*innen wünschen wir uns, dass sie sich (nochmal) mit dem Thema Gemeinschaft und Solidarität beschäftigen sowie die nicht belehrenden Hinweise auf die zentrale Bedeutung von Wahlen und jeder einzigen abgegebenen Stimme (nochmal) wohlwollend prüfen. Wir wollen Sie im Boot haben - sie SIND willkommen.

Von den Parteien wünschen wir uns auf allen Ebenen mehr Visionen und eine transparentere Kommunikation von Plänen. Kulturpolitik und auch Sozialpolitik erscheinen uns oft wie ein andauerndes Reparieren undichter Stellen – es wird kaum deutlich, welche Entwicklung beabsichtigt ist. Wir erwarten Ehrlichkeit.




AKuBiZ: "Für uns heißt in einer Demokratie zu leben: Solidarisch Handeln."

„Für uns heißt in einer Demokratie zu leben: Solidarisch Handeln.“

Interview mit AKuBiZ e.V.

Liebes Team vom AKuBiZ e.V., stellt euch bitte kurz vor: Wer seid ihr? Was sind die aktuellen Schwerpunkte eurer Tätigkeit?

Wir sind das Alternative Kultur- und Bildungszentrum e.V. (kurz AKuBiZ) aus Pirna. Der Schwerpunkt unserer Arbeit liegt in der historisch-politischen Bildung. Wir befassen uns vor allem mit der Geschichte des Nationalsozialismus im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge. Auf der interaktiven Kartenplattform gedenkplaetze.info stellen wir Orte der nationalsozialistischen Verbrechen und die Biografien Betroffener der Öffentlichkeit zur Verfügung. Wir bieten historisch-politische Wanderseminare auf den Spuren des Widerstandes in der Sächsischen Schweiz an, zeigen Ausstellungen und veröffentlichen auch Bücher zu unseren Schwerpunktthemen.

Aktuell arbeiten bei uns drei hauptamtlich Beschäftigte in den Projekten „Demokratie und ihre Gefahren im gestern und heute“ und „35 Jahre Mauerfall – Jüdisches Leben in der DDR und rechte Gewalt in den (Nach)Wendejahren“. Außerdem wirken rund zehn Ehrenamtliche aktiv an den Vereinsaktivitäten mit. Wir sind Mitglied im Netzwerk Tolerantes Sachsen (TolSax), der Sächsischen Landesarbeitsgemeinschaft Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus (sLAG) und dem Bündnis gegen Antisemitismus in Dresden und Ostsachsen. Außerdem sind wir Teil des Bündnisses Solidarisches Pirna. In Pirna haben wir die AG Asylsuchende Sächsische Schweiz-Osterzgebirge e.V. mitbegründet.

Wir leben in einer Zeit multipler Krisen und politischer Polarisierung: Wie blickt ihr auf die aktuelle politische Lage? Welche Auswirkungen spürt ihr konkret in eurem Tätigkeitsfeld?

Für uns als Aktive im Bereich der historischen Bildung ist es ernüchternd zu beobachten, wie in Krisenzeiten Antisemitismus und Rassismus zunehmen und auch die damit zusammenhängenden Gewalttaten ständig präsent sind. In unserer Arbeit ist es wichtig, immer auch einen Blick in die Geschichte zu werfen und dort Lehren für das heutige Leben zu ziehen. Denn auch wenn es verkürzt ist, einen bevorstehenden Nationalsozialismus zu befürchten, offenbaren sich doch deutliche Warnsignale, auf die wir solidarisch und antifaschistisch reagieren müssen. Wir beobachten und hören immer wieder, wie Gedenkorte beschädigt werden und Gedenkstätten unter Druck geraten und sich mit Anfeindungen auseinandersetzen müssen. Geschichtsrevisionismus ist verbunden mit Verschwörungstheorien, die letztlich immer wieder einfache Antworten in Form von Feindbildern als Ursache für Krisen ausmachen. An dieser Stelle müssen wir aktiv werden und nicht nur über Geschichte, sondern auch über weitreichende Zusammenhänge informieren.

2024 stehen drei richtungsentscheidende Wahlen in Sachsen bevor (Kommunal-, Europa- und Landtagswahlen). Mit welchen Gefühlen blickt ihr auf die möglichen Stimmgewinne für rechtsextreme Parteien? Was würde ein wachsender Einfluss von rechtsextremen Kräften für euch und eure Organisation bedeuten?

Im Kleinen haben wir es bereits erlebt, was es bedeutet, wenn Rechtsextreme demokratisch gewählt werden. Denn in Pirna gibt es seit ein paar Monaten einen Oberbürgermeister, der für die AfD angetreten ist. Was wir dadurch erleben, ist zum einen Verunsicherung. Zum anderen hat sich im Nachgang der Wahl ein breites Bündnis gegründet. Dort sind Initiativen und Einzelpersonen vertreten. Das macht auch Mut und zuversichtlich. Wir hoffen aber vor allem, dass diese Solidarisierung, auch der bundesweiten Proteste für Demokratie, dazu beiträgt, dass rechte Parteien nicht die erwarteten Wahlergebnisse erzielen können.

Zum Glück sind wir in unserer Struktur finanziell unabhängig vom Oberbürgermeisteramt in Pirna. Was Sachsen angeht, sieht das schon etwas anders aus. Auch wir befürchten, dass eine rechte Landesregierung das Ende verschiedener Förderprogramme bedeuten könnte.

Zum Glück sind die Wahlen noch nicht verloren: Welche Erfolge eurer Arbeit würdet ihr gerne verstetigen, statt euch zu sorgen?

Für uns ist es immer wieder wichtig, wenn wir in unserer Arbeit nicht nur über die Schrecken des Nationalsozialismus informieren, sondern vor allem auch die widerständigen Momente sehen und zeigen können. Daraus können wir lernen, dass es Mut braucht, sich zu positionieren. Aber auch, dass es ganz kleine Dinge sind, die wir tun können, um unsere Ablehnung deutlich zu machen.

Zwei letzte Fragen: Welche Wünsche habt ihr an (Nicht-) Wähler:innen in Sachsen? Was erwartet ihr von den demokratischen Parteien in der kommenden Legislaturperiode?

Von den Wähler:innen erwarten wir, dass sie bei ihrer Entscheidung auch immer an diejenigen denken, die kein Wahlrecht wahrnehmen können. Denn neben Menschen, die dem Mindestalter des Wahlrechts nicht entsprechen, gibt es so viele Menschen, die ein selbstverständlicher Teil unserer Gesellschaft sind, aber aufgrund fehlender Aufenthaltsrechte und Staatsbürgerschaft an keiner Wahl teilnehmen dürfen. Das wünschen wir uns auch von denen, die nicht wählen möchten. Wir verstehen die Resignation, aber auch ihre Stimme kann eine für Menschen mit weniger Rechten und andauernden Diskriminierungserfahrungen sein.

Von den demokratischen Parteien wünschen wir uns, dass die Belange von allen, auch von Minderheiten, ernst genommen werden und sie ernster nehmen, was es für uns heißt, in einer Demokratie zu leben: solidarisch handeln.




HATiKVA e.V.: "Wir wünschen uns Mut zu komplexen Atworten"

„Wir wünschen uns Mut zu komplexen Antworten“

Interview mit HATiKVA e.V.

Liebes Team vom HATiKVA e.V., stellt euch bitte kurz vor: Wer seid ihr? Was sind die aktuellen Schwerpunkte eurer Tätigkeit?

Der Verein HATiKVA, Bildungs- und Begegnungsstätte für jüdische Geschichte und Kultur existiert seit 1992 und befasst sich seitdem mit dem Jüdischen Leben, mit jüdischer Geschichte und Kultur vor allem in Sachsen, aber auch darüber hinaus; traditionell in drei Bereichen: Wissenschaft und Forschung, Kulturveranstaltungen sowie in der Jugend- und Erwachsenenbildung. Wir sind kein jüdischer Verein, sondern ein Freier Bildungsträger.

Aktuelle Schwerpunkte, vor allem in unserer Bildungsarbeit, sind die Antisemitismuskritik und aktuelles Jüdisches Leben. Das bildet sich auch in unseren aktuellen Projekten ab: Dem vom Bundesprogramm „Demokratie leben!“ und vom Landesprogramm „Weltoffenes Sachsen“ geförderten Projekt „Gibt’s doch gar nicht – Sensibilisierung für antisemitische Einstellungen und Diskriminierungen in der Gegenwart“, dem ebenfalls vom WOS geförderten Projekt „Was hast du da auf dem Kopf? – Kinderbuchausstellung zu jüdischem Leben in Kindergärten“ sowie dem von der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen geförderten Projekt „Jüdisches Leben in Kunst und Kultur“. Außerdem ist HATiKVA Herausgeber des Online-Magazins „Medaon – Magazin für jüdisches Leben in Forschung und Bildung“, das halbjährlich erscheint.

Wir sind Mitglied im Bündnis gegen Antisemitismus in Dresden und Ostsachsen, im Arbeitskreis Kritische Politische Bildung, in der Landesarbeitsgemeinschaft Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus (SLAG), dem Netzwerk Tolerantes Sachsen, dem Netzwerk Juden in Sachsen, der Arbeitsgemeinschaft Jüdische Sammlungen sowie im Förderkreis Alter Leipziger Bahnhof.

Wir leben in einer Zeit multipler Krisen und politischer Polarisierung: Wie blickt ihr auf die aktuelle politische Lage? Welche Auswirkungen spürt ihr konkret in eurem Tätigkeitsfeld?

In unserer Kulturarbeit merken wir immer noch die Auswirkungen der Corona-Pandemie. Während der Pandemie war unsere Bildungs- und Kulturarbeit, wie bei vielen anderen Trägern auch, stark eingeschränkt. Bei der Zahl der Kulturveranstaltungen und den Teilnehmer*innenzahlen sind wir leider noch nicht wieder auf dem Vor-Corona-Niveau angelangt.

Zumindest in der Wahrnehmung nehmen die Krisen zu bzw. kommen diese näher an „uns“ heran. Nicht nur Kriege sind näher an uns herangerückt, auch Entwicklungen wier die Inflation sind für uns spürbarer und schaffen große Unsicherheiten. Außerdem scheint Gewalt als Mittel zur Lösung von Konflikten sowohl international als auch innerhalb von Gesellschaften zuzunehmen. Wir sehen eine stärker militarisierte und gewaltbereitere Gesellschaft als noch vor 10 Jahren. Das hat konkrete Auswirkungen auch auf unsere Arbeit. Das Sicherheitsbedürfnis bei uns aber auch bei den Jüdischen Gemeinden ist seit dem Anschlag von Halle 2019 und dann nochmal seit dem 7. Oktober stark gestiegen. Durch konkrete Sicherheits- und Umbaumaßnahmen ist unsere Bildungsarbeit in und mit der Jüdischen Gemeinde viel stärker eingeschränkt.

Dass Antisemitismus in Krisenzeiten besonders wirkmächtig ist, ist keine neue Erkenntnis. Und so ist es nicht verwunderlich, wenn auch tragisch, dass den komplexer werdenden Problemen verstärkt unterkomplexe Lösungen entgegengestellt werden. Verschwörungstheorien und Antisemitismus haben Hochkonjunktur. Leider trifft das zum Teil auch auf Kräfte und Menschen zu, die ansonsten eher progressiv agieren oder sich zumindest als progressiv verstehen. 

Unser letzter Punkt berührt ein weiteres Problem, das wir stark wahrnehmen: Die deutlich zugenommene Polarisierung in unserer Gesellschaft. Nicht nur sind rechtsradikale, rassistische, sexistische, queerfeindliche und antisemitische Positionen und Weltanschauungen seit geraumer Zeit wieder sicht- und hörbarer geworden. Generell gibt es in Diskussionen und Auseinandersetzungen kaum noch Platz für Zwischentöne. Wir sehen eine starke Tendenz zum „Richtig oder Falsch“ und zu einfachen Freund-Feind-Schemen. Ambiguitäten werden weniger toleriert und komplexe Antworten werden eher abgelehnt. Das macht natürlich auch unsere Bildungsarbeit zu einem doch recht komplexen Thema wie Antisemitismus schwieriger. Teamer*innen sind deutlich unsicherer als früher, was eigene Positionierungen betrifft, und mögliche Konfrontationen und Störungen bei Veranstaltungen nehmen auch bei unseren Planungen mehr Raum ein.

2024 stehen drei richtungsentscheidende Wahlen in Sachsen bevor (Kommunal-, Europa- und Landtagswahlen). Mit welchen Gefühlen blickt ihr auf die möglichen Stimmgewinne für rechtsextreme Parteien? Was würde ein wachsender Einfluss von rechtsextremen Kräften für euch und eure Organisation bedeuten?

Schon jetzt hat der Einfluss rechtsextremer Parteien Auswirkungen. Die Unabhängigkeit freier Träger steht unter starkem Druck. Man kann häufig eine Angst vor Positionierung oder auch einen gefühlten Zwang zur Positionierung zu aktuellem Geschehen oder gesellschaftlichen Fragen bemerken. Aber auch bei staatlichen Akteuren und Lehrer*innen haben wir bereits oft Unsicherheiten, z.B. bezüglich einer angeblichen Pflicht zur Neutralität, festgestellt. So eine Pflicht gibt es nicht. So etwas ist nirgends verankert. Ganz im Gegenteil, gibt es sogar die Pflicht z.B. für Lehrer*innen im Sinne des Grundgesetzes, also auch im Sinne von Menschenrechten, Toleranz, Demokratie und einer offenen Gesellschaft zu wirken. Dennoch wirkt dieser Mythos der Neutralitätspflicht und schüchtert nicht wenige ein. Diese Prozesse würden sich sicher bei großen Wahlerfolgen oder gar einer Regierungsbeteiligung rechtsextremer Parteien noch verstärken.

Auch die Polarisierung und die Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft würde bei Wahlerfolgen rechtsextremer und populistischer Parteien zunehmen. Das würde wiederum die Attraktivität unterkomplexer Erklärungen und Ansichten weiter steigern. Letztlich würde sich das auch negativ auf unsere politische und historische Bildungsarbeit auswirken, die ja stark auf Ambiguitäten und komplexeren Erklärungen zielt.

Eine auf Exklusion von Bevölkerungsteilen ausgerichtete Politik, z.B. im Falle einer Regierungsbeteiligung rechtsextremer Parteien, würde außerdem viele wirtschaftliche und soziale Probleme in Sachsen verstärken.  

Die größte Gefahr für unsere Arbeit und die Arbeit freier Träger generell sehen wir allerdings in der Bedrohung durch wegfallende Finanzierung oder durch das unmöglich Machen, sich fördern zu lassen (z.B. durch nicht akzeptable Förderbedingungen oder durch die Gefährdung Dritter z.B. durch mangelnden Datenschutz) im Falle einer Regierungsbeteiligung rechtsextremer Parteien. In so einem Fall würde auch das vertrauensvolle Zusammenarbeiten mit staatlichen Institutionen generell deutlich schwerer oder unmöglich.

Weiterhin denken wir, dass die politische Mitbestimmung und die demokratische Beteiligung in einem solchen gesellschaftlichen Klima z.B. aus Angst vor Repression, stark sinken würde bzw. rechtsextreme Akteure weiter in politischen Gremien, Mitbestimmungsprozessen und der Zivilgesellschaft Raum greifen würden.

Zum Glück sind die Wahlen noch nicht verloren: Welche Erfolge eurer Arbeit würdet ihr gerne verstetigen, statt euch zu sorgen?

Wir haben bereits viele gut funktionierende Projekte und Veranstaltungen durchgeführt bzw. führen sich gerade durch. Z.B. unsere Projekte zur Sensibilisierung zu Antisemitismus, unsere Kinderbuchausstellung oder auch die Tagungsreihe „Das Gerücht über die Anderen“. Das und vieles mehr würden wir natürlich gern fortführen. Auch die Arbeit des Bündnisses gegen Antisemitismus in Dresden und Ostsachsen, an dem wir teilhaben, sehen wir als sehr wirkungsvoll und möchten dort natürlich weiterhin viel für eine demokratischere Gesellschaft beitragen.

Zwei letzte Fragen: Welche Wünsche habt ihr an (Nicht-) Wähler:innen in Sachsen? Was erwartet ihr von den demokratischen Parteien in der kommenden Legislaturperiode?

Vor allem, dass sich jeder bewusst machen sollte, dass Populismus keine Probleme löst, sondern verstärkt und dass jede nicht abgegebene Stimme in der aktuellen Situation mit großer Wahrscheinlichkeit eine Stimme für den Populismus ist.

Insgesamt täte es unserer Gesellschaft sicher gut, wenn die Wähler*innen bei einer Wahl sich die Mühe machen und die Zeit nehmen, zu schauen, was wirklich die eigenen Interessen und Probleme sind und welche Partei tatsächlich welche Lösungen anbietet.

Und bei den demokratischen Parteien können wir uns nur wünschen, dass sie nicht selbst auf den Populismuszug aufspringen, sondern sich vielleicht noch etwas mehr die Mühe machen, sachbezogen zu erklären, welche politischen Lösungen und Wege sie anbieten; Mut zu komplexen Antworten sozusagen.




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„Wir haben das subtile Gefühl, dass wir hier nicht erwünscht sind“

Interview mit Elena Tanaeva, Jüdische Gemeinde zu Dresden



Die Interviews geben die Meinung der Befragten wieder und spiegeln nicht notwendigerweise die Position der Bündnisse wider.

Eine gemeinsame Initiative mit dem Bündnis gegen Rassismus – Für ein gerechtes und menschenwürdiges Sachsen

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