Siebter Verhandlungstag: Prozess um Ausschreitungen 2018 in Chemnitz
Siebter Prozesstag am 18.01.2024
Der siebte Verhandlungstag startet mit Verspätung auf Grund der Wetterlage. Bis zur Mittagspause sagen vier Betroffene aus, die am 1. September 2018 mit dem vom SPD-Bundestagsabgeordneten organisierten Bus aus Marburg angereist und auf ihrem Nachhauseweg angegriffen worden waren. Danach folgen drei Polizeibeamte als Zeugen.
Zeugenaussage 1 eines Betroffenen
Der erste Zeuge des Verhandlungstages berichtet, dass auch er mit einer „gemischten Gruppe aus der Zivilgesellschaft“ mit dem Bus aus Marburg nach Chemnitz gefahren ist. Er sei sich der Gefahrenlage an diesen Tagen in Chemnitz bewusst gewesen. Menschen aus seinem Umfeld hätten ihn davor gefragt, warum er dennoch nach Chemnitz fahren würde.
Wie die Zeug*innen der letzten Verhandlungstage, beschrieb auch er, dass auf der Zschopauer Straße eine zehn- bis fünfzehnköpfige Gruppe brüllend von der anderen Straßenseite auf seine Gruppe zugelaufen gekommen sei, auch er habe gehört, wie diese „Volksverräter“ schrien. Einer der Angreifer habe auf eine nicht-weiße Person gezeigt und gerufen, dass sie sich diesen schnappen würde. Bei mindestens einem Angreifer habe er eine Waffe, einen knüppelähnlichen Gegenstand, gesehen. Dass es sich dabei um eine der zerbrochenen Fahnen handeln könne, schließt der Zeuge aus, da der Angreifer den Gegenstand bereits in der Hand gehabt habe, als er von der anderen Straßenseite kam. Die Angeklagten erkannte auch dieser Zeuge nicht wieder.
Der Zeuge berichtet dem Gericht, dass er sich in Lebensgefahr gesehen habe. Ein solches Gefühl habe er bis zu diesem Zeitpunkt noch nie gehabt, er wäre einfach losgerannt ohne nachzudenken.
Zeugenaussage 2 einer Betroffenen
Die Zeugin berichtet in ihrer Aussage, wie ihr eine Fahne entrissen und von einem der Angreifer auf seinem Knie zerbrochen worden sei. Sie beschreibt die gesamte Situation als sehr schnell, sie selbst sei perplex gewesen. Deshalb habe sie weder mitbekommen, ob Personen geschlagen wurden oder ob die Angreifer Waffen bei sich trugen. Verletzt worden sei sie nicht, jedoch in einer Weise bedroht, die auch weitere Zeug*innen nach ihr bestätigten. Demnach soll einer der Angreifer gesagt haben: „Ihr könnt froh sein, dass ihr Fotzen seid, sonst würden wir euch behindert schlagen“.
Zeugenaussage 3 einer Betroffenen
Die dritte Zeugin berichtet ebenfalls von dieser Bedrohung. Zudem habe sie gesehen, wie Personen in den Park gejagt, andere geschubst wurden. Auch von Bewaffnung auf Seiten der Angreifer spricht die Zeugin. So beschreibt sie ein Geräusch, was sich für sie wie das Ausklappen eines Teleskopschlagstockes angehört haben könnte, auch habe sie eine Person mit einem ähnlichen Gegenstand gesehen. Auf den ihr vorgelegten Bildern im Gericht, erkennt sie Lasse R. als die Person, die das Schlagwerkzeug in der Hand gehabt habe. Die Zeugin sagt weiter aus, dass sie Lasse R. schon kurz nach dem Angriff auf verschiedenen online veröffentlichten Bildern der Demonstration am 1. September 2018 erkannt habe. Bilder die ihn und andere Teile der Gruppe zeigen, hatte sie bereits zu ihrer Vernehmung bei der Polizei mitgebracht. Auf Nachfrage der Nebenklageanwältin Dr. Kati Lang, berichtet die Zeugin, wie bedrohlich die Situation auf sie wirkte, besonders nach der Bedrohung und nachdem sie die Waffe gesehen habe.
Im Anschluss an die Zeugin erörtern die Prozessbeteiligten – wie bereits an voran gegangenen Prozesstagen – inwiefern Personen der Angreifergruppe während und nach der Demonstrationen Jacken untereinander tauschten. Auf Bildern ist zu sehen, dass Personen zu unterschiedlichen Zeitpunkten unterschiedliche Jacken tragen.
Zeugenaussage 4 einer Betroffenen
Die vierte Zeugin berichtet ebenso von einer fünfzehn- bis zwanzigköpfigen Gruppe, die ihre Reisegruppe aus Marburg angegriffen habe. Auch sie erinnere sich an die sexistische Bedrohung und an einen hölzernen Gegenstand in der Hand des Mannes, der diese ausgesprochen hatte. Er habe damit Drohgebärden gemacht, weshalb sie sich auf diese eine Person konzentriert habe. Auch sie identifiziert den Mann als Lasse R., denn auch sie hatte direkt nach dem Vorfall Bilder von ihm in den sozialen Medien gefunden. Zu ihrer Vernehmung bei der Polizei legte die Zeugin Bilder vor, darunter Screenshots des Instagram-Profils von Lasse R., in denen er sich auf die Tat bezieht und Gruppenfotos aus Chemnitz postete.
Auf Nachfrage der Nebenklageanwältin Dr. Kati Lang berichtet die Zeugin, dass die angreifende Gruppe auf sie „entschlossen und militant“ gewirkt habe. Sie habe ein gemeinsames Auftreten der Personengruppe erkannt, unsicher sei diese nicht gewesen. Sie beschrieb, noch nie so viel Panik verspürt zu haben, wie in diesem Moment. Der Angriff habe ein Gefühl der Verunsicherung hinterlassen. Jedoch betont sie, dass sie aktuell mehr belaste, dass das lange Gerichtsverfahren sie keinen Abschluss finden lasse und sie sich immer wieder aufs Neue mit dem Vorfall und die hochkommenden Erinnerungen daran beschäftigen müsse. Sie hätte sich einen schnelleren Prozess und eine konsequentere Verfolgung der Straftaten gewünscht.
Zeugenaussage 5 eines Polizeibeamten
Der fünfte Zeuge des Tages ist Polizeibeamter beim LKA in Sachsen. Er sagt aus, dass er in den letzten Jahren mehrere Dienstwechsel hatte und nur kurzfristig in der Dienststelle gewesen sei, welche das Ermittlungsverfahren rund um den 1. September 2018 bearbeitete. Er war selbst nicht vor Ort und hab kaum mehr Erinnerungen an die Ermittlungen. Der vorsitzende Richter verweist darauf, dass der Beamte laut Akte für die Videoauswertung und die Lichtbildmappe verantwortlich gewesen sei. Daraufhin beschreibt der Polizeibeamte, wie eine solche Videoauswertung im Allgemeinen abläuft, weitere Informationen könne er zum Verfahren nicht beitragen. Auf Nachfrage der Nebenklageanwältin Kristin Pietrzyk bestätigt der Beamte, dass er sich auf die Aussage auf Grund von fehlender Zeit nicht vorbereitet habe.
Zeugenaussage 6 eines Polizeibeamten
Nach einer kurzen Unterbrechung betritt ein weiterer Beamter des LKA den Zeugenstand. Dieser habe sich auf die Aussage vorbereitet und könne sich gut an die Ermittlungen erinnern. Er sei in einer Ermittlungsgruppe zum Demonstrationsgeschehen eingesetzt gewesen und habe dort die Aufgabe gehabt, die vielen verschiedenen Ermittlungsverfahren in dem Komplex zu koordinieren und weiterzuleiten. So erhielt er schon im September 2018 die Akte mit dem Anfangsverdacht des Landfriedensbruchs zur Bearbeitung. In Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft habe er beschlossen, dass in einem ersten Schritt die Zeug*innen in Hessen vernommen werden sollten. Später habe eine Kollegin die Ermittlungen übernommen, die Ergebnisse der Vernehmungen habe er nicht mehr bearbeitet.
Auf Nachfrage der Nebenklageanwältin Pietrzyk, ob in der kurzen Zeit seiner Zuständigkeit angeregt worden sei die Handys der Beschuldigten zu beschlagnahmen, gibt der Zeuge an, sich daran nicht mehr erinnern zu können, jedoch wären die Aussagen der Geschädigten priorisiert worden.
Zeugenaussage 7 eines Polizeibeamten
Als letzter Zeuge des Verhandlungstages wird ein weiterer Polizeibeamter vernommen. Als Zugführer im USK waren er und seine Hundertschaft als Eingreif- und Unterstützungskräfte im Bereich der Demonstrationen am 1. September 2018 eingesetzt.
Er habe mit seinen Kollegen in der Nähe des Parks der Opfer des Faschismus gestanden, als andere Kräfte dazu gekommen seien und von einer Auseinandersetzung im Park berichteten. Die von ihm geschickten Polizeibeamt*innen trafen im Park die Geschädigten an, die eine grobe Fluchtrichtung der Angreifer hätten beschreiben können. Daraufhin habe er weitere Polizist*innen in diese Richtung geschickt, die schnell eine augenscheinlich flüchtete Gruppe feststellen hätten. Der Zugführer beschreibt, dass diese zweistellige Anzahl an Personen aufgrund ihres verdächtigen Fluchtverhaltens am Bernbachplatz kontrolliert worden sei, dabei seien weitere Spuren erkannt worden. Bei der Kontrolle seien zudem Fotos der Personen von allen Seiten, der Ausweise und teilweise der Kleidung oder der Hände gemacht worden. Diese auszugsweise im Gerichtssaal vorgeführten Fotos, zeigen neben den Angeklagten auch Blutspritzer auf Hosen und Schuhen, Verletzungen an Händen und ein Hämatom im Gesicht. Schlagwerkzeuge seien bei den festgestellten Personen nicht gefunden worden, jedoch eine Fahne der Jusos in einem Mülleimer in unmittelbarer Nähe und eine weitere Fahne auf dem vermuteten Fluchtweg.
Auf den Fotos der Polizei fällt erneut der in einem weiteren Verfahren angeklagte Lasse R. auf, der darauf entweder mit angespannten Muskeln posierend oder grinsend zu sehen ist.
Die kontrollierten Personen seien dann zum Bahnhof gebracht worden, da diese angegeben hätten, mit dem Zug nach Chemnitz gereist zu sein. Auf Nachfrage der Nebenklageanwältin Pietrzyk, ob dies mit der Kriminalpolizei abgestimmt gewesen sei, bejahte der Zeuge. Vor Ort sei – wie üblich bei Einsätzen in einem anderen Bundesland – ein Beamter der Kriminalpolizei gewesen. Einen Tag später habe er seinen Bericht geschrieben und alle Fotos den ermittelnden Beamten übergeben, da es für ihn „eine bedeutsame Sache war“.
Die Zeugenaussage eines weiteren Polizeibeamten wurde auf den nächsten Verhandlungstag, den 19. Januar 2024 verschoben, da er zu seiner heutigen Aussage nicht erschienen war.