Pressemeldung 13. Februar 2023

Straffreiheit für folgenreiche Bedrohung mit einer Schreckschusspistole

In zweiter Instanz sprach das Landgericht Dresden vergangenen Freitag einen 70 Jährigen frei, der vor knapp drei Jahren mit einer Schreckschusswaffe vor der Tür seiner Nachbarn stand. Als Beratungsstelle für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt kritisieren wir das Urteil.

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Am 1. März 2020 kam es in Dresden Gorbitz zu einer bedrohlichen Situation an der Wohnungstür eines 35-jährigen Somaliers: Der damals 70-jährige Nachbar fühlte sich durch Lärm aus der Wohnung über ihm belästigt und stellte die Bewohner zur Rede. Dabei trug er eine Schreckschusspistole bei sich, mit der er auf den Betroffenen zielte, wie dieser aussagte. Auch rassistische Kommentare sollen dabei gefallen sein. Alarmiert durch die Rufe des Betroffenen flüchteten vier weitere anwesende Personen über den Balkon der Wohnung nach draußen. Drei Menschen verletzten sich bei dem Sturz aus dem 3. Obergeschoss. 

Während das Amtsgericht Dresden die Nötigung und fahrlässige Körperverletzung in vier Fällen noch als erwiesen ansah und den Angeklagten im Oktober 2021 zu 100 Tagessätzen à 55 Euro verurteilte, sprach nun das Landgericht Dresden den Mann in der Berufungsverhandlung vergangenen Freitag frei. Die Richterin sah den Nachweis nicht erbracht, ob der Angeklagte die Waffe tatsächlich gezogen hatte oder sie nur im Holster bei sich trug. Die Aussagen der Betroffenen würden voneinander abweichen. Auch eine Bedrohung bzw. Nötigung der vier Personen, die vom Balkon geflüchtet waren, sei nicht gegeben. Sie hätten die Waffe selbst nicht gesehen, sondern seien durch die Rufe des Betroffenen, der die Tür geöffnet hatte, alarmiert worden. Wenn auch eine Schreckschusswaffe nicht besonders deeskalativ sei, so die Richterin, wären die Verletzungen, die sich die  drei Betroffenen durch ihre Flucht über den Balkon zuzogen, nicht dem Angeklagten anzulasten. Somit sei der  Tatbestand der fahrlässigen Körperverletzung nicht gegeben.

Als Beratungsstelle für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt kritisieren wir das Urteil des Landgerichts Dresden. Einen Freispruch halten wir angesichts der gegebenen Tatsachen und der massiven Folgen für die Betroffenen für nicht angemessen: Wenn sich auch die Beweisführung aufgrund voneinander abweichender Aussagen schwierig gestaltete, ist doch zweifelsfrei, dass der Angeklagte die Schreckschusswaffe mit sich führte und damit Reaktionen der Betroffenen auslöste. Einige gaben in ihrer Aussage an noch immer unter Panikattacken aufgrund dieses Vorfalls zu leiden. Die Argumentation, die Flucht der Betroffenen über den Balkon und die dabei entstandenen Verletzungen könnten nicht in kausalen Zusammenhang mit dem bewaffneten Auftreten des Angeklagten  gebracht werden, ist für uns nicht nachvollziehbar.

Darüberhinaus kritisieren wir die rassistische Stigmatisierung der Betroffenen durch die vorsitzende Richterin: In der Urteilsbegründung führte sie aus, dass die Betroffenen aufgrund ihres "südländischen Naturells natürlicherweise lauter" wären und es deshalb logischerweise zur Lärmbelästigung gekommen wäre. Verhaltensweisen werden hier biologisch festgeschrieben. Solche naturalisierenden Zuschreibungen reproduzieren rassistische Bilder und entmenschlichen die Betroffenen.

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