Prozessauftakt gegen fünf Justizvollzugsbeamte am Amtsgericht Dresden
Am Freitag, den 10.06.2022 wird am Amtsgericht Dresden der Prozess gegen fünf Beamte der Justizvollzugsanstalt Dresden wegen gefährlicher Körperverletzung im Amt eröffnet. Ihnen wird vorgeworfen 2018 mehrere inhaftierte Personen rassistisch beleidigt, körperlich angegriffen und verletzt zu haben. Wir werden den Prozess kritisch begleiten.
Hintergrund
Im Zuge der Ermittlungen gegen den JVA Beamten und AfD-Landesvorstand Daniel Zabel, der im August 2018 einen Haftbefehl im Zusammenhang mit den rassistischen Ausschreitungen in Chemnitz 2018 öffentlich teilte, wurde eine interne Chat-Gruppe von JVA Beamt*innen öffentlich (1). In dieser hatten Zabel und weitere nun angeklagte Beamte mehrere körperliche, teilweise gemeinsam begangene Angriffe auf inhaftierte Menschen mit anderen Kolleg*innen geteilt und kommentiert. Neben rassistischen Beleidigungen gegenüber den Betroffenen legitimierten die Beamten in jenem Chat ihre Taten und hielten sich gegenseitig dazu an, Hinweise auf diese zu verschleiern. Aufgrund der Tatsache, dass ausschließlich Menschen mit nicht-deutscher Staatsbürgerschaft angegriffen wurden, sowie anhand der Chat-Verläufe sind für uns die rassistischen Motive hinter den Taten offensichtlich.
Als Fachberatungsstelle kritisieren wir die massive Verschleppung des Gerichtsprozesses. Diese sendet ein deutlich negatives Signal an Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt. Die Betroffenen müssen sich nun viele Jahre später mit Gewalttaten auseinandersetzen, die ihnen während ihrer Inhaftierung angetan wurden. Darüber hinaus ist bekannt, dass einer der Geschädigten bereits aus Deutschland abgeschoben wurde. Für ihn wird es keine Form der Gerechtigkeit durch Ahndung der gegen ihn verübten Gewalt vor Gericht geben und seine Perspektive auf die rassistischen Gewalttaten wird im Prozess fehlen.
Die lange Zeitspanne, die bereits zwischen den Taten und der Gerichtsverhandlung liegt, erschwert außerdem nicht nur die Aufarbeitung, sondern spielt auch bei der möglichen Strafzumessung eine Rolle. In den meisten Fällen profitieren davon die Angeklagten bei einer Verurteilung. Die Betroffenen dagegen müssen nicht nur mit den Folgen der erlebten Gewalttat leben, auch eine rechtliche Würdigung ihrer Verletzungen fehlt aufgrund der langen Verfahrensdauer bisher gänzlich.
Als Opferberatungsstelle bieten wir Betroffenen Orientierungshilfe, unterstützen sie bei der Inanspruchnahme ihrer Rechte und begleiten sie über die Dauer des gesamten Prozesses. Gerade Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt müssen aktiv über ihr Recht auf Unterstützung und Begleitung informiert werden. Da im vorliegenden Fall die Gewalt durch JVA Beamte ausgeübt wurde, ist die Unterstützung durch eine unabhängige, im Sinne der Betroffenen parteilichen Stelle umso wichtiger. Nach dem 3. Opferschutzreformgesetz müssen Staatsanwaltschaften und Polizei Informationen zu Hilfsangeboten an Gewaltopfer weiterleiten. Im vorliegenden Fall konnten wir bis heute keine Kontaktbriefe an die Betroffenen vermitteln da Polizei und Staatsanwaltschaft eine Weiterleitung verweigerten.
Eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit rechtsmotivierter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Gefängnissen gibt es bisher kaum. Die Funktionslogik von Gefängnissen, die Abschottung nach Außen, wird hier doppelt wirksam: Wenn Betroffene rechtsmotivierte und rassistische Gewalt durch andere Inhaftierte oder Wärter*innen erfahren, können sie diesen Raum weder verlassen, noch gelangen Informationen verlässlich nach „draußen“ oder Unterstützung nach „drinnen“. Rassismus und erfahrene Gewalt entfalten in diesem Raum demnach eine massive Wirkmächtigkeit und können für die Betroffenen weitreichende Konsequenzen haben. Zum einen fehlt den Betroffenen in diesem Raum die Möglichkeit das Erlebte, zum Beispiel mit professioneller Unterstützung, zu verarbeiten, angemessen zu thematisieren und Sicherheit wiederzuerlangen. Zum anderen fehlt es an Instrumenten die strukturelle Ebene rechtsmotivierter, rassistischer und antisemitischer Diskriminierung und Gewalt in Gefängnissen gesellschaftlich zu thematisieren, anzuzeigen und Konsequenzen einzufordern.
Deshalb ist es gerade in Justizvollzugsanstalten wichtig, dass Betroffene Zugang zu einer unabhängigen Beratungsstelle bekommen, an die sie sich vertraulich wenden können und die sie parteilich unterstützt. Unerlässlich ist eine solche Stelle, wenn die Gewalt von den Mitarbeiter*innen der Justizvollzugsanstalten ausgeht, zu denen die Betroffenen in einem wirkmächtigen Abhängigkeitsverhältnis stehen. Wichtig ist uns darüber hinaus zu betonen, dass es sich hier nicht um Einzelfälle und Einzeltäter*innen handelt, sondern durchaus um Netzwerke in und außerhalb von Justizvollzugsanstalten, wie ähnliche Fälle aus anderen Bundesländern zeigen.
Die bisherige Berichterstattung rund um die in Dresden angeklagten Gewalttaten war zum Teil von rassistischen Aussagen und der Suche nach Begründungen für die ausgeübte Gewalt geprägt. Eine Betroffenenperspektive fehlte bisher gänzlich. Dieser Täter*innen-Opfer-Umkehr setzen wir eine betroffenenorientierte Perspektive und eine kritische Begleitung des Gerichtsverfahrens entgegen. Mit unserer unabhängigen Prozessbeobachtung wollen wir aufzeigen, mit welchen Herausforderungen und Konsequenzen Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt konfrontiert sind, wenn ihnen ebenjene Gewalt in Gefängnissen widerfährt. Zum anderen wollen wir einen kritischen Blick auf das Dunkelfeld von Rassismus- und Diskriminierungserfahrungen in Justizvollzugsanstalten werfen.
Für Presserückfragen stehen wir gerne zur Verfügung.
(1) https://www.saechsische.de/plus/jva-beamter-verurteilt-5134795.html