Opferberatungsstellen befürchten weitere rassistische und rechte Angriffe
„Wir brauchen jetzt endlich dauerhafte gesellschaftliche und politische Solidarität mit Opfern rassistischer, rechter und antisemitischer Gewalt. Leugnen, Verharmlosen und Kleinreden stärkt hingegen die Täter*innen.“ Die unabhängigen Beratungsstellen für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt verzeichnen derzeit ein besorgniserregendes Ausmaß politisch rechts, rassistisch und antisemitisch motivierter Gewalt. Dies gilt nicht nur für Chemnitz und Sachsen, sondern auch bundesweit.
„Seit Beginn der rassistischen Mobilisierungen durch Pro Chemnitz, PEGIDA, AfD und organisierte Neonazis, die den gewaltsamen Tod des 35-jährigen Daniel H. in Chemnitz instrumentalisieren, fühlen sich organisierte Rassist*innen und Neonazis überall in Deutschland ermutigt“, warnt Robert Kusche vom Vorstand des Verbands der Opferberatungsstellen (VBRG). „Für die Angegriffenen – insbesondere Migrant*innen, Geflüchtete, Schwarze Deutsche und Menschen, die sich gegen Neonazismus und für Geflüchtete engagieren – ist es ein weiterer Schlag ins Gesicht, wenn rechte Gewalt und rassistische Hetzjagden durch politisch Verantwortliche geleugnet werden. „Damit werden die Täter*innen gestärkt und den Opfern wird signalisiert, dass ihre Erfahrungen, ihre Angst und ihre Verletzungen nicht relevant sind,“ kritisiert Robert Kusche. „Wir brauchen dringend klare Signale politischer Solidarität für die Opfer rechter und rassistischer Gewalt. Leugnen, Verharmlosen und Kleinreden stärkt hingegen die Täter und ihre Sympathisant*innen“, betont Robert Kusche.
Die RAA Opferberatung Sachsen hat alleine seit dem 26. August 2018 insgesamt 24 Körperverletzungen und 11 Fälle von Nötigung/Bedrohung in Chemnitz registriert, die sich gegen Migrant*innen, Journalist*innen und Gegendemonstrant*innen richteten.[1] „Wir erfahren täglich von weiteren rechten Gewalttaten in Chemnitz. Bestürzt hat uns, dass vermummte Angreifer am Montag, den 27.8. auch den Inhaber des jüdischen Restaurants „Shalom“ in Chemnitz verletzt und dabei „Judenschwein, verschwinde aus Deutschland“ gerufen haben“, sagt Andrea Hübler von der RAA Sachsen. „Wir befürchten, dass dem für den morgigen Freitag, den 7.9.2018 angekündigten Aufmarsch von Pro Chemnitz [2] weitere Angriffe folgen werden.“
Organisierte Rassist*innen und Neonazis begreifen die Parole „holen wir uns unser Land zurück“, mit der am Sonntag, den 26. August 2018 für die rassistische Hetzjagd in Chemnitz mobilisiert wurde, die unzureichende Strafverfolgung und die nachfolgenden Mobilisierungen in Chemnitz als Aufforderung, in Sachsen und bundesweit zuzuschlagen.
Bundesweite Nachahmungstaten
Beispielhaft zeigt sich dies anhand der nachfolgenden Fälle: In München (BY) versammelte sich spätabends am 25./26. August 2018 im Stadtbezirk Bogenhausen eine 30-köpfige Gruppe bundesweit aktiver IB-Kader, um „Heil Hitler“ und andere NS-Parolen brüllend Passanten anzupöbeln und an Treffpunkten politischer Gegner NS-Parolen zu hinterlassen.[3] Schon am 23. August 2018 hatten in Berg am Laim zwei Männer an einer roten Ampel unvermittelt die Tür eines Autos mit drei jungen Migranten aufgerissen, den Fahrer getreten und geschlagen und dabei rassistische Parolen gerufen.[4] In Altena (NRW) wurde am 29. August 2018 ein 17-jähriger Syrer kurz vor Mitternacht auf der Straße rassistisch beleidigt und von drei Männern angegriffen, die ihn u.a. im Gesicht verletzten.[5] In Wismar (MV) wurde am späten Abend des 29. August ein 20-jähriger Flüchtling aus Syrien durch drei extrem rechte Angreifer in einem Park gezielt mit Schlagringen ins Gesicht und auf den Oberkörper geschlagen und rassistisch beschimpft.[6] In Sondershausen (TH) wurde am 29. August 2018 ein 33-jähriger Eritreer von vier Männern, die der rechten Szene angehören, schwer verletzt.[7] Am Abend des 30. August 2018 hatte ein Asylsuchender aus Eritrea drei Einschusslöcher in den Fenstern seiner Wohnung in einer Gemeinschaftsunterkunft in Dresden-Gorbitz festgestellt.[8] Am Abend des 1. September wurde in Essen-Borbeck (NRW) ein Mitglied des Essener Integrationsbeirats vor einer Pizzeria angegriffen, auch ein afghanischer Flüchtling, der dem Betroffenen zu Hilfe, wurde von den Angreifern geschlagen.[9] In Brandenburg/Havel (BB) beleidigte am 29. August ein 36-Jähriger seinen 19-jährigen Nachbarn eritreischer Herkunft mit den Worten „Du bist ein Ausländer, du hast hier nichts zu suchen“, bedrohte ihn mit einem Messer und verfolgte ihn anschließend auf offener Straße.[10] Am Abend des 2. September 2018 versuchten sich in einer Kleinstadt bei Leipzig zwei maskierte Männer rassistische Parolen grölend gewaltsam Zutritt zu der Wohnung eines pakistanischen Menschenrechtsaktivisten zu verschaffen. Weil sie damit scheiterten, zogen die Angreifer zum Kleingarten der pakistanischen Familie weiter und schlugen dort auf deren Pkw ein. Im Juli 2018 hatten Neonazis dem Menschenrechtsaktivisten bei einem rassistischen Angriff beide Hände gebrochen.[11] Am Abend des 3. September griff an der S-Bahnstation in Rostock-Marienehe (MV) ein ca. 45-jähriger Mann drei Studierende aus Aserbaidschan mit einem Knüppel an, brüllte rassistische Parolen und verletzte einen der Studenten.[12]
In Wismar hatte Bürgermeister Thomas Beyer (SPD) den Angriff auf den 20-jährigen Syrer als Ausdruck einer „Pogromstimmung“ bezeichnet und eine zivilgesellschaftliche Mahnwache für friedliches Zusammenleben ausdrücklich begrüßt. „Die klaren Worte von Angela Merkel und Regierungssprecher Steffen Seibert und das Beispiel von Wismar zeigen, dass politisch Verantwortliche Handlungsspielräume haben: Sie können sich auf die Seite der Angegriffen stellen und rechte Gewalt verurteilen und damit wichtige Signale setzen“, sagt Robert Kusche. „Deshalb begrüßen wir auch ausdrücklich, dass sich Bundesfamilienministerin Franziska Giffey für ein Demokratieförderungsgesetz auf Bundesebene einsetzt“. Der Verband hoffe, dass dann auch die Angriffe auf wichtige Träger von Opferberatungsstellen wie beispielsweise in Sachsen-Anhalt durch die dortige AfD-Landtagsfraktion und Teile der CDU ins Leere laufen.
Für Rückfragen: Robert Kusche, Vorstand VBRG e.V., E-Mail: robert.kusche@verband-brg.de
Anmerkung: In einer früheren Version hieß es, dass der Angriff auf das Restaurant Slalom sich am 3.9.2018 ereignete, richtig muss es heißen, dass der Angriff bereits am Montag dem 27.08.2018 geschah.
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1 Details zu den Angriffen in: Pressemitteilung der RAA Sachsen vom 3.9.2018 Chemnitz eine erste Bilanz: Mehr als 30 Angriffe in einer Woche im Zuge rechter Demonstrationen, https://www.raa-sachsen.de/support/meldungen/chemnitz-eine-erste-bilanz-3802
2 https://www.facebook.com/144635458901463/posts/2031998376831819/
3 vgl. München-Chronik von a.i.d.a, BEFORE und firm: https://muenchen-chronik.de/25-26-august-2018-ib-ns-parolen-und-neonazistische-poebeleien/
4 vgl. München-Chronik von a.i.d.a, BEFORE und firm: https://muenchen-chronik.de/23-august-2018-rassistischer-angriff/
5 www.presseportal.de/blaulicht/pm/30835/4048938
6 Festnahme nach Angriff auf Syrer, www.taz.de/!5532435/
7 www.presseportal.de/blaulicht/pm/126723/4049280
10 https://polizei.brandenburg.de/pressemeldung/bedrohung-mit-messer/1149971
11 vgl. amnesty international: Erneut rassistisch motivierter Angriff auf Menschenrechtler bei Leipzig, www.amnesty.de/informieren/aktuell/erneut-rassistisch-motivierter-angriff-auf-menschenrechtler-bei-leipzig
12 vgl. Mann verprügelt ausländischen Studenten, www.ostsee-zeitung.de/Mecklenburg/Rostock/Mann-schlaegt-auslaendischen-Studenten-mit-Knueppel