Opferberatung Support veröffentlicht Statistik rechtsmotivierter Gewalt in Sachsen 2022
+++ Mindestens jeden zweiten Tag ein rechtsmotivierter Angriff in Sachsen im Jahr 2022 +++ Von insgesamt 205 Angriffen waren mindestens 314 Menschen direkt betroffen +++ ein Plus von acht Prozent im Vergleich zum Vorjahr +++ stabile Schwerpunktregionen in den Großstädten und den Landkreisen Nordsachsen, Zwickau und Bautzen +++ Rassismus weiterhin das häufigste Tatmotiv, merkliche Zunahme von Angriffen auf LGBTIQ* Personen +++ Zwei Brandanschläge auf Geflüchtetenunterkünfte
Nach zwei durch die Corona-Pandemie geprägten Jahren, normalisierte sich das gesellschaftliche Leben 2022 wieder. Beschränkungen fielen schrittweise weg, öffentliches Leben fand wieder statt. Rechtsmotivierte Gewalt im Zusammenhang mit den Corona-Maßnahmen spielte eine untergeordnete Rolle. Geblieben sind rechte Verschwörungsideologien. Die Pandemie wurde als Thema weitestgehend abgelöst zugunsten der Debatte um den russischen Angriffskrieg sowie die Energiekrise. Unter diesen Vorzeichen fanden 2022 wieder zahlreiche rechte Demonstrationen in Sachsen statt, bei denen es auch zu Gewalttaten gegen Journalist*innen oder Gegendemonstrant*innen kam. Zum Jahresende spielte die Aufnahme Geflüchteter und deren Unterbringung in Städten und Gemeinden eine verstärkte Rolle.
Dazu erklärt Andrea Hübler, Fachreferentin Opferberatung Support: „„Freie Sachsen“, AfD und „Querdenken“ versuchten die eingeübten Mobilisierungen um dieses Thema zu erweitern, was nicht an jedem Ort gleich gut gelang. Im Landkreis Nordsachsen jedoch heizen seit Januar 2023 solche Kundgebungen die Stimmung an. Erst kürzlich kam es bereits zu Attacken auf die geplanten Unterkünfte in Nordsachsen. Im Februar schlugen Unbekannte die Fensterscheibe eines in Frage stehenden Gebäudes in Laußig ein, im März platzierten Unbekannte mehrere Stahlstäbe in der Zufahrtsstraße zum geplanten Areal in Strelln.“
Zwei Brandstiftungen wurden im letzten Jahr verübt, beide an Geflüchtetenunterkünften: Am 26. August, dem Jahrestag der Pogrome von Rostock-Lichtenhagen 1992 in Leipzig-Grünau und am 28. Oktober in Bautzen auf das Spreehotel, was kurze Zeit später wieder von Asylsuchenden bezogen werden sollte.
Dazu Andrea Hübler: „Bei den beiden Brandanschlägen ist zum Glück niemand verletzt worden. Ziel und Botschaft ist jedoch klar: Geflüchtete sind nicht erwünscht. In Bautzen wurden Fakten geschaffen, während in Leipzig die symbolische Bezugnahme auf Rostock-Lichtenhagen eine Ansage ist, wozu Rassist*innen bereit sind.“
Bei den 205 rechtsmotivierten, rassistischen und antisemitischen Angriffen im Jahr 2022 handelte es sich darüber hinaus überwiegend um Körperverletzungsdelikte (147), in 47 Fällen um Nötigung oder Bedrohung. Knapp die Hälfte der Angriffe (95) wurden 2022 aufgrund von Rassismus verübt. 51 Angriffe richteten sich gegen politische Gegner*innen, darunter 12 gegen Journalist*innen. In 23 Fälle richtete sich die Gewalt gegen Nichtrechte und Alternative, in 21 Fällen gegen Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung/geschlechtlichen Identität. Im Vergleich zum Vorjahr haben diese Angriffe gegen LGBTIQ* massiv zugenommen (+163%). Zwei Angriffe waren sozialdarwinistisch motiviert. In dreizehn Fällen blieb das konkrete Tatmotiv unklar.
Die Großstädte Dresden (64) und Leipzig (50) weisen seit Jahren sachsenweit die höchsten Angriffszahlen auf, während sich Chemnitz (14) auf dem Niveau der Spitzen-Landkreise bewegt. In den Landkreisen Nordsachsen (+17%, 14) und Bautzen (+63%, 13) sind gestiegene Angriffszahlen zu verzeichnen, im Landkreis Zwickau wurden wie in den Vorjahren 13 Angriffe registriert. Im Landkreis Leipzig sind die Angriffe erneut zurückgegangen (-23%), dennoch liegt er mit 10 Angriffen wieder deutlich vor den anderen Landkreisen: Mittelsachsen (7), Görlitz (6), Vogtland (6), Meißen (5), Sächsische Schweiz-Osterzgebirge (2), Erzgebirge (1).
Robert Kusche, Geschäftsführer des RAA Sachsen e.V.: „Der Landkreis Nordsachsen war zusammen mit dem Landkreis Leipzig in den vergangenen Jahren immer wieder eine Schwerpunktregion, ebenso Zwickau und Bautzen. Das hat auch mit einer rechten Raumnahme in den dortigen Klein- und Mittelstädten zu tun. Gerade gezielte Attacken auf politische Gegner*innen oder gegen Nichtrechte und Alternative, aber auch auf PoC sind typisch für zumindest in Ansätzen organisierte Neonazis, womit sie den öffentlichen Raum für sich beanspruchen und alle einschüchtern, die sie für sich als Feinde ausmachen.“
Die Fachberatungsstelle Support für Betroffene rechter Gewalt des RAA Sachsen e.V. unterstützt in Sachsen seit 2005 Opfer rechtsmotivierter, rassistischer und antisemitischer Gewalt bei der Bewältigung der Tatfolgen und dokumentiert darüber hinaus diese Angriffe. Im Jahr 2022 haben wir sachsenweit in 253 Beratungsfällen beratend und unterstützend zur Seite gestanden.
Die Zusammenfassung der Statistik ist unter Nennung des Urhebers frei verwendbar und abrufbar unter: www.raa-sachsen.de/statistik
Auf unserer Webseite finden Sie zusätzlich ein Tool, mit dem sie die Angriffszahlen der letzten Jahre einsehen können.
Für Rückfragen wenden Sie sich an:
Andrea Hübler (Fachreferentin Opferberatung Support) oder Robert Kusche (Geschäftsführer RAA Sachsen e.V.)
Mail: andrea.huebler@raa-sachsen.de oder robert.kusche@raa-sachsen.de
Telefon: 0351 500 2567