Zum Mord an Christopher W. in Aue
Am 17. April 2018 wurde Christopher W. in Aue brutal getötet. Drei Männer stehen seit Ende letzten Jahres vor dem Chemnitzer Landgericht. Am 7. Juni soll das Urteil fallen.
Stellungnahme der Opferberatung Support des RAA Sachsen e.V. und der LAG Queeres Netzwerk Sachsen
Die Opferberatung Support des RAA Sachsen e.V. beobachtet den Prozess und stellt fest, dass nach mehreren Prozesstagen mit Einlassungen der Angeklagten, Zeug*innenaussagen und Berichten von Gutachtern, die Tötung zwar außer Frage steht, ein rechtes Tatmotiv jedoch keine entscheidende Rolle gespielt haben soll.
Auf Empfehlung des Bundestagsuntersuchungsausschusses zum NSU wurden 2015 im § 46 StGB zur Strafzumessung die „Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, (erweitert um) die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende“. Dies geschah insbesondere um zu gewährleisten, dass bereits die Staatsanwaltschaft und dann das Gericht die Motivation einer Tat ausreichend aufklärt und so auch der gesellschaftlichen Bedeutung vorurteilsmotivierter Straftaten Rechnung trägt. Bei Tötungsverbrechen gilt die Notwendigkeit der Aufklärung des Tatmotivs besonders, da sogenannte niedere Beweggründe ein Mordmerkmal darstellen. Wird als Tatmotivation eine Feindschaft gegenüber Homosexuellen festgestellt, und damit ein menschenverachtender Beweggrund, müssen die Täter also wegen Mordes verurteilt werden.
Sowohl vor Gericht als auch in der Presse entstand zuletzt der Eindruck, dass ein rechtes, vorurteilsbasiertes Tatmotiv verneint wird, mit der Begründung, dass die Angeklagten keine „Rechtsextremisten“ oder „Neonazis“ seien. Unabhängig davon, dass Hakenkreuztätowierungen, Äußerungen oder Musikauswahl (Blitzkrieg und Sleipnir) sehr wohl bei den Angeklagten dafürsprechen, ist weder ein geschlossenes neonazistisches Weltbild noch eine entsprechende Organisierung nötig, um aufgrund von Vorurteilen und Ungleichwertigkeitsvorstellungen ein rechtsmotiviertes Verbrechen zu begehen. Einstellungsstudien zum Thema gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit belegen, dass Ideologien der Ungleichwertigkeit gesellschaftlich weit verbreitet sind. Und auch die Gewaltbereitschaft und -akzeptanz beschränkt sich keineswegs auf ideologisch gefestigte Neonazis. Das vielfach gängige Bild eines „jugendlichen Skinhead-Schlägers“ ist damit wissenschaftlich gesehen obsolet.
„Der wesentliche Kerngedanke einer „rechten" Ideologie ist die Annahme einer Ungleichheit/Ungleichwertigkeit der Menschen.“ Als rechtsmotivierte Tat zählt demnach, „wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie sich gegen eine Person wegen ihrer/ihres zugeschriebenen oder tatsächlichen ... sexuellen Orientierung und/oder sexuellen Identität ... gerichtet sind und die Tathandlung damit im Kausalzusammenhang steht ...“ (Bundesministerium des Inneren/ Bundesministerium der Justiz (Hrsg.): Definitionssystem Politisch motivierte Kriminalität. Berlin 2016.)
Es geht weder um die Szene-, Partei- oder Gruppenzugehörigkeit, noch um die Selbstdefinition der Täter als Neonazis oder sog. Rechtsextreme. Es geht um die Einstellungen, die der Tat zugrunde liegen. Eine Organisierung kann für solche Einstellungen ein Beleg sein, ist jedoch keinesfalls die Voraussetzung um diese zu teilen. Insbesondere homophob motivierten Taten liegt eine nach wie vor gesellschaftlich tradierte und reelle Ablehnung gegenüber Homosexualität und weiteren von einer vermeintlichen Norm abweichenden sexuellen Orientierungen oder Identitäten zugrunde. Sie sind daher die gewaltsame Durchsetzung dieser Ideologie gegenüber einer zu schützenden Minderheit.
Unserer fachlichen Einschätzung nach sprechen vor allem drei Punkte dafür, dass neben den Umständen, wie Drogen und Alkohol, insbesondere der Hass auf Schwule als Tatmotiv ausschlaggebend war:
Christopher W. war bekennender Homosexueller. Es gab wiederholt schwulenfeindliche Beschimpfungen, (Mord-)Drohungen und Körperverletzungen gegen Christopher W. durch die Angeklagten.
Die Tat wurde mit äußerster Brutalität verübt. Insbesondere bei vorurteilsbasierten Taten entstehen oftmals besondere „Gewaltorgien“. Lebensbedrohliche und tödliche Tatbegehungsweisen ergeben sich aus der Abwertung des Opfers und Nichtanerkennung als gleichwertiger Mensch. Hinzukommt, dass die Täter, meist mehrere und unter Alkoholeinfluss stehend, leichter gesellschaftliche Gewalthemmschwellen überschreiten.
Die Angeklagten teilen, wie im Prozess deutlich geworden ist, unzweifelhaft Ideologien der Ungleichwertigkeit.
Die Umstände der Tat und die Einstellungen der Täter sprechen aus unserer Sicht deutlich für ein homophobes und damit im Sinne des § 46 StGB zutiefst menschenverachtendes Tatmotiv. Wir gehen daher davon aus, dass Christopher W. ermordet wurde, weil er als junger homosexueller Mann, den Tätern nicht als gleich viel wert galt. Enthemmt durch Drogen- und Alkoholkonsum, angestachelt durch Dynamiken in der Gruppe, zu der Christopher sich selbst zugehörig sah, gingen die Täter deshalb gegen Christopher W. so brutal vor und töteten ihn schlussendlich.
Dies ist eine fachliche Stellungnahme und Einschätzung, die der Entscheidung des Gerichts nicht vorgreifen möchte.
Die Opferberatung Support des RAA Sachen berät, begleitet und unterstützt Betroffene rechter und rassistischer Gewalt seit 2005 in Sachsen. Unsere Berater*innen haben in dieser Zeit hunderte Fälle auch vor Gericht begleitet.
Die LAG Queeres Netzwerk Sachsen setzt sich ein für die gleichberechtigte Teilhabe von LSBTTIQ*, sensibilisiert für deren Situation und Anliegen und vertritt eine Vielzahl von Vereinen, die in Sachsen zu vielfältigen Lebensweise bilden und LSBTTIQ* beraten und unterstützen.
Die Organisationen verfügen daher über ein profundes Expertenwissen zur Lebenssituation von LSBTTIQ* in Sachsen einerseits und zu rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt andererseits. Die Einschätzung basiert auf fachlicher Expertise sowie auf folgender Literatur zum Thema:
Prof. Dr. Marc Coester: Das Konzept der Vorurteilskriminalität, https://www.idz-jena.de/wsddet/das-konzept-der-vorurteilskriminalitaet/
Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz, Geschäftsbereich Gleichstellung und Integration (Hg.) 2019: Rechte Hassgewalt in Sachsen, Entwicklungen und Radikalisierung, https://hait.tu-dresden.de/wm_2019_smgi_hassgewalt_broschuere%201904.pdf.
Lang, Kati 2015: Vorurteilskriminalität, Nomos.
Decker, Oliver; Brähler, Elmar (Hg.) 2018: Flucht ins Autoritäre, Leipzig.
Sachsen Monitor 2018, https://www.staatsregierung.sachsen.de/sachsen-monitor-2018-5616.html