Redebeitrag zum Tourstopp der #WannWennNichtJetzt Tour 2019 in Bautzen
Am 27.7.2019 machte die #WannWennNichtJetzt Tour Halt in Bautzen. Hier die Veröffentlichung unseres Redebeitrags.
Die Beratungsstelle Support des RAA Sachsen e.V. berät seit 2005 Betroffene von rechter und rassistischer Gewalt in Sachsen. Zu unseren Aufgabenfeldern zählt unter anderem die Begleitung zu Polizei und Staatsanwaltschaft, sowie zu Gerichtsprozessen und eine psychosoziale Aufarbeitung von Übergriffen. Außerdem arbeiten wir alle Fälle von rechtsmotivierter Gewalt in einer Statistik auf, die jährlich vorgestellt und in den gesellschaftlichen Diskurs eingebracht wird.
Seit Beginn der Pegida- Demonstrationen im Jahr 2014 ist eine deutliche Zunahme von rechter Gewalt in Sachsen erkennbar. Während 2014 noch 257 gewalttätige Angriffe von uns erfasst wurden, verdoppelten sich diese im Jahr 2015 nahezu auf 477 Fälle. Im Jahr 2018 ereigneten sich 317 Angriffe auf 481 Betroffene, darunter ein Todesopfer. Der 27- Jährige Christopher W. aus Aue musste auf brutale Weise sterben, weil seine Angreifer Anstoß an seiner sexuellen Orientierung nahmen.
Insgesamt hat sich das Tatmotiv der Angreifer*innen ebenfalls stark verändert. Waren in den Jahren vor 2015 oft politische Gegner*innen, Linke oder einfach „Nichtrechte“ Angriffsziel, ist nun eine Verschiebung hin zu rassistisch motivierten Tatanlässen zu erkennen. Gewalt auf Grund von Herkunft oder Hautfarbe machen in Sachsen rund 70% der von uns erfassten Delikte aus.
Es ist also klar zu erkennen, dass durch die antimuslimische und rassistische Agitation von Pegida und ihren Ablegern die Schwelle zur Gewaltausübung stark gesunken ist. Rassistische Äußerungen und Übergriffe sind gesellschaftsfähig geworden, diskriminierende Stereotypen werden in allen Bereichen der Gesellschaft aufgegriffen und reproduziert. Gewalttaten werden heruntergespielt und nicht selten werden Anzeigen fallen gelassen oder die rechte Tatmotivation in Gerichtsprozessen nicht erkannt. Der Prozess um die sogenannte „Gruppe Freital“ zeigt, dass erst eine Bundesgeneralstaatsanwaltschaft die Ermittlungen übernehmen musste, um die Schwere der Taten allumfassend zu erkennen.
Nach den Kommunalwahlen im Mai sind wir in Sachsen nun mit der Situation konfrontiert, dass die AfD nahezu flächendeckend in Stadt- und Gemeinderäte einziehen konnte und dabei mit extrem rechten Personen und Organisationen, wie beispielsweise der „Identitären Bewegung“, zahlreiche Berührungspunkte teilt. Die anfängliche Scheu der Alternative für Deutschland gegenüber rechtsextremen Gruppierungen ist, sofern sie in Ostsachsen und der Lausitz je bestand, verpufft. Immer mehr personelle Überschneidungen kommen ans Tageslicht, wie etwa das Beispiel von Toni Schneider zeigt, der jetzt für die AfD im Stadtrat von Hoyerswerda sitzt und sich immer wieder aktiv an Aktionen und Veranstaltungen der „Identitären Bewegung“ beteiligt hat.
Die Etablierung radikaler Kräfte in der AfD hat ihrer Stärke in der Region bislang nicht geschadet. Sie verkörpert hier eine rechte Sammlungsbewegung in der sich vermeintlich Rechtskonservative, Migrationsgegner*innen, enttäuschte CDU- Wähler*innen, Abgehängte, Alltagsrassisten, Radikalisierte und organisierte Neonazis gleichermaßen zu Hause fühlen können. In Bautzen hat dieses Milieu in den letzten Jahren, durch prominente Fürsprecher und die Schaffung zahlreicher eigener Strukturen, in erschreckendem Maß an Einfluss gewonnen. Außenstehenden drängt sich nicht von ungefähr das Bild einer rechten Parallelgesellschaft auf, wenn sie auf diese Stadt schauen. Dass diese Entwicklungen in der Öffentlichkeit thematisiert wurden und werden, sorgt hier immer wieder für Unmut. Dabei hätten gerade jene, die solche Probleme offen ansprechen, die sich vor Ort für Zivilcourage und gegen rechte Tendenzen engagieren und dafür nicht selten mit Hass, Häme, Bedrohungen und körperlicher Gewalt konfrontiert werden, alle Anerkennung und Respekt verdient.
Wir sind also nicht ohne Grund heute hier in Bautzen. Im September stehen die Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen an. Die zu erwartenden Ergebnisse haben nicht nur verheerende Auswirkungen auf zivilgesellschaftliche Akteure, NGO´s und linkspolitisch Engagierte. Vor allem hat das Erstarken der AfD sowie anderer rechter Kleinstparteien zur Folge, dass Menschen, die als „Nicht Deutsch“ wahrgenommen werden, noch mehr in den Fokus von Rechten und Neonazis geraten und somit vermehrt alltäglichen rassistischen Äußerungen und Übergriffen etwa in Straßenbahnen, auf öffentlichen Plätzen und in Institutionen, ausgesetzt sind.
Welche Auswirkungen rechte Übergriffe auf die Betroffenen haben, ist manchmal nur schwer vorstellbar. Durch einen Angriff werden sie häufig in die Passivität gedrängt. Meist können Betroffene in solchen Situationen selbst nicht aktiv werden und müssen sie daher über sich ergehen lassen. Die Folgen eines solchen Angriffs sind weitreichend. Zum einen kreisen die Gedanken oft um den Vorfall. Manchmal kehren die Erinnerungen an das Erlebte wieder und die Betroffenen fühlen sich in die Situation zurückversetzt. Vermeidendes Verhalten setzt ein, sodass der eigene Alltag großen Einschränkungen ausgesetzt ist. Einkäufe, Besorgungen, der Weg zur Schule oder zur Arbeit sind plötzlich keine Selbstverständlichkeiten mehr, sondern müssen jeden Tag aufs Neue durchdacht und geplant werden. Häufig berichten Betroffene von einer inneren Unruhe, Angst und Schlaflosigkeit. Genau das ist es, was die Täter*innen bezwecken wollen. Durch ihre Angriffe versuchen sie ein Klima der Angst zu erzeugen und alle, die nicht in ihr Weltbild passen, einzuschüchtern.
Und deswegen braucht es jetzt einen noch größeren Zusammenhalt, eine noch größere Solidarität, eine noch intensivere Auseinandersetzung mit rechten Umtrieben und eine noch stärkere Zivilcourage! Wir dürfen uns nicht einschüchtern lassen, sondern wir alle sind in der Pflicht Verantwortung zu übernehmen und uns dem Rechtsruck entgegen zu stellen. Schaut in eurem privaten Umfeld, welche Handlungsmöglichkeiten es gibt und schließt euch mit anderen Personen zusammen, schafft Schutzräume und Diskussionsorte. Nur gemeinsam können wir dem Rechtsruck etwas entgegensetzen!