Redebeitrag Marwa El-Sherbini 2019
Hier dokumentieren wir die Rede der Opferberatung Support des RAA Sachsen anlässlich des 10. Jahrestages des Mordes an Marwa El-Sherbin 2009 in Dresden. Die Rede wurde von Robert Kusche im Rahmen des stillen Gedenkesn im Landgericht Dresden für den zivilgesellschaftlichen Vorbereitungskreis des Marwa El-Sherbini-Gedenkens gehalten.
Sehr geehrte Frau Staatssekretärin Franke,Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Dirk Hilbert, Sehr geehrter Herr Aiman Mazyek, Sehr geehrte Damen und Herren, Liebe Anwesende,
Es ist gut zu sehen, dass sich so viele Menschen hier heute erschienen sind um an Marwa El-Sherbini zu gedenken. Vielen Danke dafür.
Vor 10 Jahren, am 1. Juli 2009, erschütterte der rassistische Mord an der jungen Ägypterin die Stadt. Der Mord steht in der Kontinuität rechter Morde seit der Wiedervereinigung. Heute 10 Jahre später ist ein wichtiger Tag um an Marwa El-Sherbini und ihre Geschichte zu erinnern, denn Rassismus und antimuslimischer Rassismus sind heute aktueller denn je. Allein im letzten Jahr waren von 317 rechten und rassistischen Angriffen die wir als Opferberatung Support des RAA Sachsen e.V. gezählt haben, 208 Angriffe rassistisch motiviert.
Zur Erinnerung: die junge Ägypterin wurde während einer Berufungsverhandlung am Dresdner Landgericht vom Angeklagten A. Wiens mit 18 Messerstichen vor den Augen ihres Ehemanns, ihres dreijährigen Sohnes sowie aller im Gericht Anwesenden ermordet. Gegenstand der Verhandlung waren rassistische Beleidigungen, die der Täter gegenüber Marwa El-Sherbini auf einem Spielplatz in der Dresdner Johannstadt äußerte. Ein Jahr dauerte das sich daran anschließende Strafverfahren – bis zur Berufungsverhandlung am Landgericht. Als Marwa El-Sherbini nach ihrer Aussage den Zeugenstand verließ, stach der Angeklagte auf sie ein.
Im Verfahren gegen den Mörder konnte das Motiv mit Bestimmtheit geklärt werden. Die rassistische und antimuslimische Einstellung des Täters wurde umfassend berücksichtigt. Seit der Wiedervereinigung kamen in mindestens 169 Menschen durch rechte und rassistische Gewalt ums Leben, 17 davon in Sachsen. Marwa El-Sherbini ist eine davon.
Die Stadt Dresden, die sächsische Justiz sowie die städtische Zivilgesellschaft haben sich mit dem Mord beschäftigt, etwa mit jährlichen Gedenkveranstaltungen, einer Fotoausstellung „Wir sind Dresdnerinnen“ des Frauentreffs des Ausländerrates, die Ausstellung „18 Stiche“ von Bürger Courage 2010 oder den Sammelband „Tödliche Realitäten“ des RAA Sachsen e.V.. Seit 2011 lobt zudem die Stadt das „Marwa El-Sherbini Stipendium für Weltoffenheit und Toleranz“ aus.
Trotz vieler Bemühungen hat sich die Situation für Betroffene rechter und rassistischer Gewalt im den letzten 10 Jahren leider nur kaum verbessert. Dies zeigen die Ereignisse der letzten Jahre und wird belegt durch unser unabhängiges Monitoring. So haben wir in den letzten Jahren eine Welle rechter und rassistisch motivierter Straftaten erlebt. Statistisch gesehen wird in Sachsen mindestens an jedem zweiten Tag ein Mensch Opfer. Die Dunkelziffer wird um einiges höher sein. Gewalt ist nur die Spitze des Eisberges, ungezählt sind die rassistischen Beleidigungen im Alltag, die oft der Gewalt vorausgehen. So wie auch im Fall von Marwa El-Sherbini. Heute wird das ganze Beschleunigt vor allem auch durch die vermeintliche Anonymität in sozialen Netzwerken.
Der Mord an Marwa El-Sherbini war bzw. ist ein Schock. Rückblickend reiht er sich jedoch in eine lange Reihe von schockierenden Ereignissen ein. Erinnert sei hier an die Lichtelläufe in Schneeberg 2013, dem Start der PEGIDA Bewegung in Dresden im Oktober 2014, beide Ereignisse gingen mit einer Zunahme rechter Gewalttaten einher. Es folgten Ausschreitungen in Freital, Heidenau und Dresden im Sommer 2015, in Bautzen und Wurzen 2016 und 2017. Die „Gruppe Freital“ verübte 2015 Anschläge auf Geflüchtetenwohnungen, das links-alternative Stadtviertel Leipzig Connewitz wurde 2016 von über 200 Nazis und Hooligans angegriffen. Nino K. verübte 2016 einen Rohrbombenanschlag auf eine Moschee in Dresden. Letztes Jahr erlebten wir die Ausschreitungen in Chemnitz. Die Verfahren gegen Gruppen wie Revolution Chemnitz, Gruppe Freital sowie den Moschee Attentäter Nino K. zeigen ferner, dass vor Waffen und Sprengstoff letztlich mit dem Ziel Menschen zu töten nicht zurückgeschreckt wird.
Darunter leiden nicht nur die betroffenen Menschen und deren Freunde und Familien. Es verunsichert auch alle, die ebenfalls ins Feindbild der rechten Gewalttäter passen oder einfach in einer offenen, vielfältigen Gesellschaft leben wollen. Der Mord an Marwa El-Sherbini ist noch heute 10 Jahre später insbesondere für die muslimische und ägyptische Community in der Stadt von zentraler Bedeutung. Es kommen viele Ratsuchende in unsere Beratungsstelle und fragen – mit Bezug auf den Mord an Marwa El-Sherbini – ob sie wirklich Anzeige erstatten sollen oder nicht. Dieses Vertrauen wiederherzustellen ist ein langwieriger Prozess und bedarf Anstrengungen von uns allen.
Die 10 Jahre, die zwischen heute und dem Mord an Marwa El-Sherbini liegen, verdeutlichen, dass das Ausmaß rechter Gewalt eher größer, bedrohlicher und für viel mehr Gruppen realer geworden ist. Betroffene rechter Gewalt– seien es Lokalpolitiker, Geflüchtete oder ehrenamtlich Engagierte – erwarten, dass sie ernst genommen, ihre Forderungen gehört und auch umgesetzt werden.
Vor 10 Jahren starb Marwa El Sherbini vor den Augen ihrer Familie in einem Dresdner Gerichtssaal. Das für die Familie damit einhergehende Leid ist unermesslich, ihnen gilt weiterhin unser tiefes Mitgefühl.
Ich danke Ihnen für Ihre Teilnahmen und Aufmerksamkeit