In Zeiten von Corona: Diskriminierung und Zwangsmaßnahmen gegen wohnungslose Menschen
„Zu Hause zu bleiben impliziert das Privileg, ein zu Hause zu haben. Ein Privileg, das etwa die Geflüchteten, die an der europäischen Außengrenze abgewiesen werden, nicht haben.“ (Massimo Perinelli, Vincent Bababoutilabo). Genauso wenig haben wohnungslose Menschen dieses Privileg. Während diesen Menschen der Schutz und die Sicherheit einer eigenen Wohnung ohnehin verwehrt ist, trifft es sie in Zeiten von Corona doppelt hart.
„Zu Hause zu bleiben impliziert das Privileg, ein zu Hause zu haben. Ein Privileg, das etwa die Geflüchteten, die an der europäischen Außengrenze abgewiesen werden, nicht haben.“ Massimo Perinelli, Vincent Bababoutilabo
Genauso wenig haben wohnungslose Menschen dieses Privileg. Während diesen Menschen der Schutz und die Sicherheit einer eigenen Wohnung ohnehin verwehrt ist, trifft es sie in Zeiten von Corona doppelt hart: Aufgrund der oftmals prekären Lebensumstände und einem damit einhergehenden instabilen Gesundheitszustand zählen wohnungslose Menschen in großen Teilen zu den sogenannten Corona-Risikogruppen. Gleichzeitig werden Menschen deutschlandweit und seit dem 22.03. auch in Sachsen per Allgemeinverfügung dazu verpflichtet, Zuhause (wörtlich in der „häuslichen Unterkunft“) zu bleiben und sind nur dazu berechtigt, dieses zu verlassen, wenn sie triftige Gründe vorweisen können. Zuwiderhandlung kann mit einer Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe geahndet werden [1]. Wohnungslose Menschen werden damit also gezwungen ein Privileg in Anspruch zu nehmen, dass sie nicht besitzen und dabei von Zwangsmaßnahmen bedroht.
Wie sich solch eine strukturelle Diskriminierung und gesellschaftliche Marginalisierung in Zeiten von Corona und Ausgangsbeschränkungen noch verschärfen kann, lässt sich anhand eines Vorfalls erahnen, der vor zwei Wochen am Samstag, dem 21.03. in der Dresdner Neustadt passiert ist: Gegen Mittag wurden sieben scheinbar wohnungslose Menschen von einem ungewöhnlich hohen Polizeiaufgebot eingekesselt und in Gewahrsam genommen. Während die Polizei im Nachhinein auf kritische Nachfrage zu ihrem Vorgehen hin konstatiert, der Einsatz hätte nicht im Zusammenhang mit der Allgemeinverfügung gestanden, berichten Augenzeug*innen auf Twitter zum Teil, dass ihnen vor Ort als Rechtsgrundlage für das Aussprechen der Platzverweise und die folgende Ingewahrsamnahme ebenjene Allgemeinverfügung genannt wurde. Eine andere Person bestätigt in ihrem Augenzeug*innenbericht wiederum die Aussage der Polizei, dass der Einsatz nicht auf Grundlage der Allgemeinverfügung stattgefunden hätte. Weiterhin berichtet sie allerdings, dass die Polizei ihr damit drohte, dass sie nicht stehen bleiben und die Maßnahme beobachten dürfe, da sie damit gegen die Ausgangsbeschränkungen verstoßen und die Polizei Maßnahmen gegen sie ergreifen würde. Außerdem wurden den in Gewahrsam genommenen Personen gegen ihren Willen ein Mundschutz übergezogen, während die Beamt*innen selbst keinen solchen Schutz trugen. In der Art und Weise der Festnahme der Personen sehen wir eine eklatante Stigmatisierung und persönliche Diskriminierung wohnungsloser Menschen: Indem die Beamt*innen keinen Mundschutz tragen, um sich und andere Menschen vor einer Übertragung mit COVID-19 zu schützen, sie aber den festgenommenen Menschen (gegen ihren Willen) einen Schutz überziehen, etikettieren sie die wohnungslosen Menschen als potentiell Infizierte, die mittels Mundschutz abgeschirmt werden müssen.
Wohnungslose Menschen sind seit jeher gefährdet Opfer von alltäglicher und struktureller Diskriminierung zu werden. Sie sind zusätzlich sozialdarwinistisch motivierter Gewalt ausgesetzt, welche meist im Verborgenen bleibt und kaum einen Platz im gesellschaftlichen Diskurs findet. Aktuell hat die Polizei nunmehr ein starkes Instrument in der Hand um potentiell wohnungslosen Menschen mit Verweis auf die Ausgangsbeschränkungen einen Platzverweis zu erteilen. Da sie dieser Aufforderung strukturell nur bedingt bis gar nicht nachkommen können riskieren sie Zwangsnahmen von Bußgeldern bis hin zu einer Ingewahrsamnahme. Hier spitzen sich die Lebensumstände, in denen wohnungslose Menschen ohnehin bereits leben (müssen), zurzeit akut zu. Eine „häusliche Unterkunft“ (wie in der Allgemeinverfügung bezeichnet) gibt es für wohnungslose Menschen nur in der Form von Notunterkünften und Nachtcafés. Während die Nachtcafés in Dresden bereits am 15.03. geschlossen wurden, sind die Notunterkünfte der Stadt zum einen nicht ohne gewisse behördliche Barrieren zugänglich und besitzen zum anderen aufgrund der Beengtheit ein sehr hohes Infektionsrisiko. In der Folge sehen sich wohnungslose Menschen nicht nur dem Risiko einer Infektion mit COVID-19 ausgesetzt, sondern geraten zusätzlich verstärkt in den Fokus polizeilicher Maßnahmen. Hier verschränkt sich gesellschaftliche Marginalisierung von Gruppen von Menschen und eine damit einhergehende Vulnerabilität mit institutioneller Diskriminierung. Gerade in der aktuellen Situation bedarf es mit Blick auf polizeiliche Maßnahmen die Wahrung von Verhältnismäßigkeit. Auch in Zeiten von Corona und wichtigen Maßnahmen zur Eindämmung des Virus sind Grund- und Menschenrechte nicht auszusetzen.
Wir empfehlen daher dringend, dass zum Schutz das Land und die Kommunen, für die Dauer der Corona-Krise Wohnraum schaffen – etwa in Hotels, Ferienwohungen, leerstehenden Wohnungen – um Menschen, die in Gruppen- und Sammelunterkünften leben müssen, wie wohnungslose und geflüchtete Menschen, den Rückzug in einzelne Wohnungen zu ermöglichen. Wir schließen uns außerdem den Forderungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V., We’ll Come United und den Landesflüchtlingsräten, der Diakonie Sachsen und vielen weiteren Organisationen und Initiativen nach akuten Schutzmaßnahmen an.
[1] Allgemeinverfügung. Vollzug des Infektionsschutzgesetzes. Maßnahmen anlässlich der Corona-Pandemie. Ausgangsbeschränkungen. Bekanntmachung des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt vom 22. März 2020, Az. 15-5422/10.