5 Jahre rassistische Ausschreitungen 2018 – Chemnitz und die offenen Verfahren
Pressemitteilung des RAA Sachsen e.V.
In diesen Tagen jähren sich die rassistischen und rechten Ausschreitungen aus dem Spätsommer 2018 in Chemnitz. Diese Tage und Wochen waren für uns als landesweiter Träger im Bereich Beratung und Demokratiearbeit ein trauriger Höhepunkt. Allein 48 rassistisch, antisemitisch und rechts motivierte Angriffe registrierte unser Projekt Opferberatung SUPPORT für Betroffene rechter Gewalt in Chemnitz im Zusammenhang mit den rassistischen Mobilisierungen innerhalb einer einzigen Woche. Bis heute haben die Vorfälle hauptsächlich für BIPoC zu einem verminderten Sicherheitsgefühl geführt. Betroffene berichten noch heute von einem Anstieg alltagsrassistischer Beschimpfungen und Beleidigungen seit dem Spätsommer 2018.
Aus parlamentarischen Anfragen wissen wir, dass die meisten Straftaten in diesen Tagen ohne Folgen für die Täter blieben. Heute, 5 Jahre später, sind über 100 der 162 Verfahren zu rechtsmotivierten Straftaten eingestellt. Den politischen Forderungen, die rechten Straf- und Gewalttaten schnell und konsequent zu verfolgen und zu verurteilen, wurde in den meisten Fällen nicht nachgekommen.
Die verzögerte rechtliche Aufarbeitung der Ereignisse im Spätsommer 2018 illustriert der Angriff auf Gegendemonstrant*innen am 1. September 2018 besonders deutlich. An diesem Tag kam es zu einem Schulterschluss zwischen AfD und Pegida. Dem Aufruf schloss sich auch die extrem rechte Bürgerbewegung Pro Chemnitz an. Um sich diesem rechten Aufmarsch entgegenzustellen, fand am 1. September 2018 eine große Gegendemonstration unter dem Motto "Herz statt Hetze" statt.
Unmittelbar nach der Demonstration kam es zu mehreren Angriffen auf die Gegendemonstrant*innen der „Herz statt Hetze“ Kundgebung. Mittlerweile ist bekannt, dass sich an diesem Tag eine große Gruppe von gewaltbereiten Neonazis teilweise vorbestraften und bekannten Neonazis traf, welche bundesweit zu den rechten Demonstrationen in Chemnitz angereist waren. Diese Gruppierung griff gezielt Menschen an, die gegen Rassismus und für demokratische Werte auf die Straße gingen.
Jens Hofer der an dem Tag selbst angegriffen wurde, kommentiert. „Nach 5 Jahren gibt es immer noch keine juristische Aufarbeitung des Falls und es werden keine nennenswerten Schritte unternommen, dies zu tun, endlich Gerechtigkeit walten zu lassen“. Seit nun fünf Jahren warten die Betroffenen auf die Eröffnung der drei Gerichtsverfahren, die die Angriffe aufklären sollen. Die Aussicht auf Gerechtigkeit schwindet damit täglich.
André Löscher, Berater im Projekt SUPPORT des RAA Sachsen e.V. zu der langen Verfahrensdauer: „Die jetzige Situation ist extrem belastend für die Betroffenen. Statt der geforderten schnellen Verfahren müssen sie sich seit fünf Jahren immer wieder mit dem Thema beschäftigen und können nicht mit dem Erlebten abschließen. Hinzukommt das fatale Signal an die demokratische Stadtgesellschaft: rechte Gewalt, selbst so dreist und öffentlich begangen, bleibt juristisch unaufgearbeitet und ungestraft".
Jens Hofer resümiert: „Die Nazi-Schläger von damals dürfen sich so in ihrem Tun bestätigt fühlen. Sie wissen, dass sie auch in Zukunft kräftig zuschlagen können, müssen sie doch keine Konsequenzen fürchten. […] Demokratie wird nicht nur von der breiten Zivilgesellschaft getragen, sondern muss auch juristisch vor Rechtsextremismus und Demokratiefeinden geschützt werden“.
Die Beraterin Anna Schramm abschließend: „Die Verfahren gegen die organisierten Neonazis dürfen nicht eingestellt werden. Die Hintergründe zu den Taten müssen aufgeklärt werden. Außerdem müssen die Erzählungen der Betroffenen gehört werden und es sollte klar sein, dass potentielle Strafzahlungen den Betroffenen zugutekommen.“
Die Opferberatung SUPPORT des RAA Sachsen e.V. wird die Prozesse begleiten und deren Dokumentation veröffentlichen.
*Name aus Sicherheitsgründen geändert
SUPPORT für Betroffene rechter Gewalt
RAA Sachsen e.V.