Ziel des Projekts im Jahr 2022 ist die Erarbeitung einer Konzept- und Machbarkeitsstudie für die Errichtung eines Dokumentationszentrums zum NSU-Komplex in Südwestsachsen. Die Studie wird Aussagen treffen über:
die inhaltliche Konzeption eines Dokumentationszentrums,
Optionen zur Trägerschaft und Struktur eines Dokumentationszentrums,
mögliche Standorte und bauliche Konzepte,
Finanzierungsmöglichkeiten,
sowie zu den nächsten nötigen Schritten zur Etablierung eines solchen Zentrums.
Das Projekt versteht sich als Netzwerkprojekt, das die Kompetenzen, Perspektiven und Expertisen verschiedener Initiativen und Träger der Zivilgesellschaft bündelt und die einzelnen Themenfelder der Konzeptions- und Machbarkeitsstudie unter Einbeziehung dieser Akteur*innen bearbeitet. Den jeweiligen Fragestellungen soll im Rahmen themenfeldspezifischer Fachforen nachgegangen werden. Inputs von Expert*innen und Best Practice-Beispielen sowie vorbereitete Vorschläge werden die Grundlage der Diskussion und ergebnisorientierten Bearbeitung des jeweiligen Themenfeldes bilden. Neben Akteur*innen des Gründungskreises werden hier weitere themenfeldspezifische Akteur*innen einbezogen.
Die Idee für ein Dokumentationszentrum zum NSU-Komplex wird seit einigen Jahren immer wieder artikuliert. Sie nimmt nun konkretere Formen an. Einen kurzen - und unvollständigen - Überblick zu den bisherigen Entwicklungen und einigen Wegmarken gibt es hier.
Mai/Juni 2006
In Kassel und Dortmund demonstrieren tausende Menschen unter dem Motto: "Kein 10. Opfer!". Die Demonstrationen wurde von den Familien und Freund*innen der NSU-Opfer organisiert. Sie fanden am 6. Mai 2006 in Kassel und im Juni 2006 in Dortmund statt. Kurz zuvor wurden Halit Yozgat am 6. April 2006 und Mehmet Kubaşık am 4. April 2006 ermordet. In Kassel führte die Demonstrationsroute aus der Nähe des Internet-Cafés der Familie Yozgat zum Kasseler Rathaus. Mit den Transparenten und in Redebeiträgen forderten die rund 4000 Teilnehmer*innen die Politik und die Öffentlichkeit auf, die rassistischen Muster hinter den Taten zu erkennen und nach den Täter*innen zu suchen. Ihre Worte bleiben jedoch weitgehend ungehört. Weder Politik noch Öffentlichkeit hinterfragen die ergebenislosen Ermittlungen der Polizeibehörden, die sich vor allem gegen die Opfer und ihre Angehörigen richten.
November 2011
Nach einem gescheiterten Banküberfall in Eisenach enttarnt sich der rechtsterroristische NSU selbst. Zwei von drei Personen der Kernzelle töten sich in Eisenach. Die dritte in Zwickau verbliebene Person sprengt die gemeinsame Wohnung und verteilt anschließend während ihrer viertägigen Flucht DVDs mit einem Bekennervideo. Darauf übernimmt die Neonazigruppe die Verantwortung für zehn Morde und zwei Bombenanschläge im Zeitraum zwischen 2000 und 2007. Die Taten sind schon lange Gegenstand von polizeilichen Ermittlungen. Den Hinweisen von Angehörigen und Zeug*innen, die einen neonazistischen Tathintergrund nahe gelegt haben, wurden von unterschiedlichen Ermittler*innen im gesamten Bundesgebiet nicht berücksichtigt. Die Ermittlungen belegen damit beispielhaft das Problem des institutionellen Rassismus und dessen Folgen.
Frühjahr 2012
In Zwickau wird das Haus abgerissen, in dem der NSU zuletzt gewohnt hat. Die Fläche ist seitdem eine Wiese. Die Kosten für den Abriss werden zum großen Teil vom Freistaat Sachsen übernommen.
November 2012
Eine Gedenk-Demonstration in Zwickau fordert ein Mahnmal zur Erinnerung an die Opfer des NSU: Enver Şimʂek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taʂköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaʂar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaʂık, Halit Yozgat und Michèle Kiesewetter.
2013
Die Idee eines Bildungs- und Dokumentationszentrums taucht an verschiedenen Orten auf, insbesondere zivilgesellschaftliche Akteure in Zwickau machen die Forderung immer wieder stark.
Weder in Stadt, Land oder Bund gibt es ernstzunehmenden Ambitionen zur Umsetzung. Einige Akteur*innen, darunter die damalige SPD-Oberbürgermeisterin von Zwickau, greifen die Forderung medial auf. Auch die Stellvertretende Bundestagspräsidentin Petra Pau (LINKE) unterstützt das Anliegen.
2017
Der ASA-FF e.V. erarbeitet ein Konzept für das Projekt „Offener Prozess“. Dafür werden Akteur*innen der NSU-Aufarbeitung in Sachsen befragt. Auch hier wird die Forderung nach einem Dokumentationszentrum artikuliert. Sie wird im Konzept aufgegriffen.
Juli 2018
In München wird das Urteil im NSU-Prozess verkündet. Die Hoffnung nach Aufklärung und Gerechtigkeit erfüllt der Richterspruch auch nach dem fünfjährigen Mammutprozesses nicht. Die meisten Fragen der Angehörigen bleiben unbeantwortet. Der partielle Freispruch für den wohl langjährigsten NSU-Unterstützer und die verhältnismäßig milden Urteile für weitere Unterstützer werden in der Neonaziszene als Bestätigung aufgefasst. Das Urteil steht im Gegensatz zur Erkenntnis, dass es sich beim NSU nicht um ein Trio, sondern um ein rechtsterroristisches Netzwerk gehandelt hat.
Juni 2019
Die Idee eines NSU-Dokumentationszentrums findet den Weg in den Abschlussbericht des zweiten sächsischen NSU-Untersuchungsausschusses: Das Minderheitenvotum der Partei der Linken und der Grünen greift die Forderung auf. Auch ein Erinnerungsort für die Opfer des NSU wird darin gefordert.
Herbst 2019
In Zwickau wird auf Initivative der Oberbürgermeisterin ein Gedenkbaum in Erinnerung an Enver Şimşek am Schwanenteich gepflanzt. Der Vater aus Nürnberg war das erstes Mordopfer des NSU. Nur wenige Tage später wird der Baum von Unbekannten abgesägt. Gegen die Zerstörung gibt es Protest, der vor allem von jungen Menschen initiiert wird. Unterstützt von zahlreichen Akteur*innen wird der Erinnerungsort daraufhin neu errichtet und am 10. November 2019 eröffnet. Die Angehörigen der Opfer des NSU werden jedoch nicht in die Konzipierung einbezogen und auch zur Eröffnung nicht eingeladen. Das sorgt für Kritik. "Ich finde es eine Unverschämtheit, dass man mich als Tochter nicht wenigstens vorher fragt, mich nicht informiert, uns noch nicht einmal zur Eröffnungsfeier einlädt", sagt Gamze Kubaşık. Die Angehörigen haben vom Gedenken an die Opfer des NSU in Zwickau aus den Medien erfahren.
Im Rahmen des Tribunals „NSU-Komplex auflösen!“ entsteht ein temporäres Dokumentationszentrum auf der Hauptstraße in Zwickau. Dort wird eine Ausstellung der Geschichtswerkstatt Zwickau gezeigt.
Dezember 2019
Im Koalitionsvertrag der neuen Sächsischen Staatsregierung (CDU/Grüne/SPD) findet das Dokumentationszentrum Eingang: „Wir werden die Errichtung eines Erinnerungsortes sowie eines Dokumentationszentrums für die Opfer der Taten des in Sachsen untergetauchten NSU unterstützen.“
2020
Chemnitz findet im Rahmen zur (erfolgreichen) Bewerbung zur Kulturhauptstadt Europas 2025 Interesse an der Idee eines NSU-Archivs: „Während des Kulturhauptstadtjahres wird in der Hartmann-Produktionshalle auch die Ausstellung 'Offener Europäischer Prozess' zu sehen sein, genauso, wie dort dann auch das 'NSU-Archiv' untergebracht ist."
Sommer/Herbst 2021
Die Ausstellung Offener Prozess wird zuerst in Jena eröffnet und anschließend in Chemnitz, Berlin und Brüssel gezeigt. Kleinere Satelliten der Ausstellung sind im Rahmen des Theaterprojekts "Kein Schlussstrich!" in elf Städten bundesweit zu sehen.
November 2021
Der RAA Sachsen e.V. erhält vom SMJusDEG einen Zuwendungsbescheid um den Prozess für die Entwicklung eines Dokumentationszentrums voranzubringen: das Ziel eine Machbarkeits- und Konzeptionsstudie.
Auch im Koalitionsvertrag einer künftigen Bundesregierung (SPD, Grüne, FDP) findet sich die Unterstützungszusage: „Wir unterstützen die Errichtung eines Erinnerungsortes sowie eines Dokumentationszentrums für die Opfer des NSU“. Außerdem wird ein Aktenarchiv angekündigt: „Wir treiben auch innerhalb der Bundesregierung die weitere Aufarbeitung des NSU-Komplexes energisch voran und bringen ein Archiv zu Rechtsterrorismus in Zusammenarbeit mit betroffenen Bundesländern auf den Weg.“
Dezember 2021
Das NSU-Dokumentationszentrum wird auch im Gesamtkonzept gegen Rechtsextremismus des Landes Sachsen aufgeführt.