9. Januar 2017: 64. Verhandlungstag
Zwei Staatsanwälte und ein Ermittlungsbeamter werden heute vernommen. Sie berichten über die Bedeutung der jüngsten Aussagen von Rico K. im Rahmen einer polizeilichen Vernehmung, sowie über die Bedeutung der Aussage von Timo S. für die FKD-Verfahren. Bahnbrechende Erkenntnisse scheint aber keine der Aussagen geliefert zu haben. Der Senat kündigt an in Kürze die Beweisaufnahme schließen zu wollen.
Nocheinmal (siehe Tag 50 [&] 59) nimmt Staatsanwalt Dr. Christian Richter im Zeugenstand Platz. Er wird zu den jüngsten Aussagen des Angeklagten Rico K. befragt. Am 21. November 2017 sei Rico K. von KHK W. im Rahmen der Ermittlungen gegen die »Freie Kameradschaft Dresden« (FKD) vernommen worden. Der Staatsanwalt berichtet, dass Rico K. bereits im Rahmen seiner Beschuldigtenvernehmung am 9. März 2016 von einem »großen Leubener« gesprochen habe. Damals habe er gesagt, dass der am Angriff auf das alternative Wohnprojekt Mangelwirtschaft beteiligt gewesen sei. In der erneuten Befragung habe Rico K. den »großen Leubener« nun »eindeutig« als René H. identifiziert, erklärt der Staatsanwalt.
René H. sei bereits einmal im Zuge des FKD-Verfahrens festgenommen, dann aber mangels Beweisen um den Jahreswechsel 2016 wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Die Aussage von Rico K. habe nun einen neuen Haftbefehl möglich gemacht. Dieser sei am 18. Dezember 2017 in Kraft gesetzt worden. Der Staatsanwalt räumt aber auch ein, dass man sich vor der Aussage von Rico K. bereits »ziemlich sicher« gewesen sei, dass sich hinter dem »großen Leubener« René H. verberge. Es habe nur noch eine »eineindeutige Aussage« gefehlt. Insofern sei Rico K.s Aussage ein Beitrag gewesen, mit der die Ermittlungen einen Fortschritt gemacht hätten.
Allerdings sei der Name René H. nicht zum ersten Mal in den Ermittlungen aufgetaucht, erklärt der Staatsanwalt auf Nachfrage. Das vor dem Landgericht angeklagte mutmaßliche FKD-Mitglied Franz R. habe bereits im Juli 2017 René H. benannt. An Versuche, die Aussage von Franz R. etwa mit einer Wahllichtbildvorlage zu verifizieren, könne er sich aber auch nicht erinnern, räumt Staatsanwalt Richter ein.
Nach der etwa 45-minütigen Befragung und einer Unterbrechung wird die Hauptverhandlung mit der Vernehmung von KHK W. fortgesetzt. Auch der LKA-Beamte, der die Ermittlungen gegen die FKD leitet, berichtet über die Vernehmung von Rico K. am 21. November 2017. Während der Ermittlungen hätte er und seine Kollegen immer versucht herauszubekommen, wer der »große Leubener« sei. Durch die Aussage von Franz R. im Juli 2017 sei man gut vorangekommen. Allerdings habe Franz R. nichts zu etwaigen Handlungen von René H. in der Overbeckstraße gesagt. Deswegen habe man immer wieder bei der Verteidigung von Rico K. angefragt, ob der bereit sei über den »großen Leubener« auszusagen. Man sei aber »öfter« vertröstet worden, so der Ermittler.
Im Oktober 2017, nach einer »neuerlichen Anfrage« der LKA-Ermittler, sei Bereitschaft signalisiert worden. KHK W. habe dann im November die Vernehmung im Beisein eines Kollegen durchgeführt. Rico K. habe dort anhand einer Lichtbildmappe René H. identifiziert und berichtet, dass der »große Leubener« René heiße. Nach seiner Inhaftierung habe er schließlich auch dessen Nachname erfahren. Er habe außerdem ausgesagt, dass René H. am Tag des Angriffs auf das Hausprojekt erst an der Turnhallen-Blockade gewesen sei und später auch unter der Brücke über die Flutrinne. Ob er an den Tatabsprachen beteiligt gewesen sei, das habe Rico K. nicht mehr erinnern können. Vier bis fünf Personen seien daran beteiligt gewesen, u.a. auch Mike S., Patrick F. habe den Plan bekannt gegeben. Die restlichen Personen hätten »in Grüppchen drumherum« gestanden.
René H. gehöre zur »Reisegruppe 44«, einem »verschworenen Haufen«, der gewaltbereit sei. Rico K. habe die erst »Ende 2015« kennengelernt. Insbesondere Nick F. und Janette P. seien »näher« an der Gruppe drangewesen und hätten die Kontakte gehalten. Zur Gruppe gehöre außerdem Christian L. und Dominik K., beim Angriff Overbeckstraße seien fünf bis sechs Leute aus der Gruppierung dabeigewesen, gibt KHK W. die Aussage von Rico K. wieder. Er habe auch gesagt, dass er vor René H. »gehörig Respekt« habe, wegen dessen Kontakten in die Securitybranche und die Fussballszene. H. sei eine Person gewesen, die energisch die Meinung sage, wenn etwas nicht nach Plan gelaufen sei. Konkrete Beispiele habe Rico K. aber nicht benannt. Die Reisegruppe sei ein »Schlägertrupp«, im Vergleich zur FKD »ebenfalls kriminell«. H. und dessen Gruppe hätten oft ihr eigenes Ding gemacht und die FKD unterstützt.
In der Vernehmung habe Rico K. betont, dass er sich nicht als »Terrorist« sehe. Er sei »erst im Frühjahr 2015« mit der FKD zu den Demonstrationen nach Freital gefahren. Und sei dann im Oktober 2015 durch den NPD-Stadtrat Dirk Abraham in den Kakaotalk-Chat eingeladen worden. Er habe darin eine Chance gesehen, seinen Freundeskreis zu vergrößern. Den Nicknamen »RicoRandale« habe er von Felix F. aufgegriffen, der ihn öfter so genannt habe.
Nach dieser Aussage hätten die Ermittler einen Folgetermin vereinbaren wollen, sie seien unter anderem an einer Aussage zu Heidenau interessiert gewesen, jedoch hätte die Verteidigung weitere Gespräche abgelehnt, so der LKA-Beamte.
KHK W. bestätigt auf Nachfrage, dass dem mutmaßlichen FKD-Mitglied Franz R. Fotos vom 1. Mai 2015 in Saalfeld vorgelegt wurden. Der Beamte könne sich aber nicht mehr mit Bestimmtheit daran erinnern, ob Franz R. dabei René H. zuordnen konnte. Erinnern könne er sich an die Vernehmung von Janette P. am 12. Juli 2017, sie sei dabei auch auf René H. eingegangen, u.a. weil er an den Absprachen zu den Angriffen auf Asylunterkünfte am 23. August 2015 beteiligt war. Damit, erklärt KHK W., habe es bereits vor den Angaben von Rico K. zwei Aussagen gegeben, in denen der »große Leubener« als René H. benannt wurde.
Im Anschluss an die Aussage folgen zwei kurze Erklärungen. Der Nebenklagevertreter RA Hoffmann betont, dass die Angaben des LKA-Ermittlers deutlich machen, dass der Wert der Aussage von Rico K. nur »sehr gering« sei. Außerdem geht er noch auf ein weiteres Detail in der Aussage von Rico K. ein: Der habe mit seiner Aussage deutlich gemacht, dass er sich am Angriff auf die Overbeckstraße beteiligt habe, obwohl er wußte, dass dadurch Kinder gefährdet werden können. Die Verteidigung von Rico K. erläutert in ihrer Erklärung, dass weitere Aussagen von Rico K. unterblieben seien, weil die Bundesanwaltschaft etwa im Fall der Ausschreitungen von Heidenau Nachtragsanklagen erwogen habe.
Die dritte Zeugin des heutigen Tages ist die Staatsanwältin Ute Schmerler-Kreuzer. Sie soll zur Bedeutung der Aussagen von Timo S. für das FKD-Verfahren Auskunft geben. Sie schildert knapp, dass ihr die Aussage am 7. April 2016 bekannt geworden sei im Rahmen eines Verfahrens gegen zwei mutmaßliche FKD-Mitglieder. Diese wurden u.a. wegen eines Überfalls am Alaunplatz verfolgt und sollten bereits am 16. April 2016 angeklagt werden. Entsprechend misst Schmerler-Kreuzer der Aussage von Timo S. »keine besonders herausragende Bedeutung« bei. Dass es die FKD gäbe und diese in verschiedene Vorfälle involviert war, sei bereits wegen der Angaben eines Beschuldigten im benannten Ermittlungsverfahren klar gewesen.
Das Gericht setzt die Hauptverhandlung daraufhin mit der Entscheidung über noch offene Beweisanträge fort. Insgesamt drei Anträge von unterschiedlichen Verteidigern werden abgelehnt. Ein in der letzten Sitzung des Jahres gefordertes Sachverständigengutachten sei für das Verfahren ohne Bedeutung, verkündet der Senat. RA Franek wollte die Gesamtmenge des bei den Wohnungsdurchsuchungen sichergestellten sprengfähigen Materials bestimmen lassen. Das stehe aber, so der Vorsitzende des Senats Fresemann, in keinem Zusammenhang mit der Tatbegehung bei den angeklagten Taten. Die Gefährlichkeit sei hier durch die Verbindung von pyrotechnischen Sprengkörpern und Fensterglas entstanden.
Die Verteidigung von Rico K. erklärt dann, dass sie bereit wären, schriftlich auf weitere Fragen einzugehen, die der Beisitzende Richter Scheuring im vergangenen Jahr gestellt habe. Der korrigiert, dass er Themenkomplexe benannt habe, zu denen er Fragen habe und die er unmittelbar mündlich beantwortet haben möchte, so wie es die Strafprozessordnung vorsieht. Die Verteidigung macht aber nochmal deutlich, dass sie Nachfragen nicht beantworten will.
Der Prozesstag schließt mit einem Beweisantrag von Nebenklagevertreter RA Hoffmann, der eine Vernehmung von René H. zum Geschehen in der Overbeckstraße beantragt.