8. Dezember 2017: 62. Verhandlungstag
Heute läuft die Frist für das Stellen von Beweisanträgen ab. Insbesondere aus den Reihen der Verteidigung wird die Gelegenheit genutzt. Einige Beweisanträge muten zuweilen skurril an: So soll ein Hundename und eine demoskopische Umfragen die Angeklagten entlasten. Ein Nebenklagevertreter thematisiert außerdem nochmals die Rolle der Polizei und die der Organisatoren der Turnhallen-Blockade in Dresden-Übigau.
Zu Beginn des Prozesstages nimmt die Bundesanwaltschaft Stellung zu drei Beweisanträgen der Verteidigung von Timo S., alle seien abzulehnen. Oberstaatsanwalt Hauschild erklärt, dass niemand daran zweifele, dass Timo S. bei der Sprengung des PKWs von Michael Richter am 27. Juli 2015 nicht am Tatort war. Der entsprechende Antrag zur Anhörung eines Zeugen sei damit unerheblich. Auch die beantragte Anhörung eines weiteren Polizisten zur Auswertung der GPS-Daten aus der Observierung von Timo S. sei überflüssig, da hierzu bereits eine Beweisaufnahme erfolgt sei.
Auf den dritten Beweisantrag geht Hauschild ausführlicher ein. Dem Antrag, der darauf abzielt die Bedeutung der Aussagen von Timo S. hervorzuheben, um eine Strafmilderung geltend zu machen, sei formal inkorrekt. Darüberhinaus sei den Aussagen von Timo S. eine so hohe Bedeutung nicht beizumessen, da dessen Angaben »lückenhaft« gewesen seien, um sich selbst zu entlasten. Er sei außerdem nicht der Erste gewesen, der ausgesagt habe. Auch die Erkenntnisse aus den Chatprotokollen hätten bereits vorgelegen, wenngleich sie zum Zeitpunkt von Timo S.s Aussage noch nicht ausgewertet waren. Die Taten in Stetzsch und in Heidenau seien, so Hauschild weiter, bisher nicht als Straftaten der Gruppe Freital erkenntlich. Er merkt an, dass diejenigen, die mehr verstrickt gewesen seien, mithin mehr Informationen liefern können, nicht bevorzugt behandelt werden dürfen.
Dann beginnt das Gericht Beweisanträge aufzunehmen. Die Verteidigung von Sebastian W. beantragt die Beiziehung der FKD-Akten und eine Unterbrechung der Hauptverhandlung. Die Verteidigung von Rico K. will sich näher mit einem Vorfall am Vorabend des Angriffs auf das Hausprojekt Mangelwirtschaft in Dresden-Übigau befassen, dazu solle der Geschädigte, der zuständige OAZ-Ermittler und eine Teilnehmerin der Turnhallenblockade vernommen werden, außerdem eine Nebenklägerin. Ein weiterer Antrag thematisiert den Angriff auf das Wohnprojekt selbst. Die Verteidigung von Rico K. will sowohl weitere Bewohner_innen des Objekts laden, als auch zahlreiche Personen aus der mutmaßlichen Gruppe der Angreifenden. Der nächste Antrag dreht sich um die Identifizierung des »großen Leubeners« als René H. im Rahmen einer Vernehmung durch Rico K. Hierzu soll der Vernehmungsbeamte gehört werden, um Rico K.s Angaben zu bestätigen. Rico K. soll ausgesagt haben, dass René H. beim Angriff auf die Mangelwirtschaft dabei gewesen sei, »Steine« geworfen und ein Fenster getroffen habe.
Nach einer kurzen Unterbrechung beantragt die Verteidigung von Maria K. die Verlesung eines Steuerbescheids der Angeklagten, aus dem hervorgehe, dass ihr Hund »Boncuk« heiße. Das sei das türkische Wort für »Glasperle« und zeige, so die Argumentation weiter, dass bei Maria K. »keine rechtsextreme Einstellung« vorliegen könne. Der Verteidiger erklärt weiter, dass sich das auch aus der sexuellen Orientierung der Angeklagten ergebe. Ihre Homosexualität steht in seinen Augen ebenfalls im Widerspruch zur rechtsextremen Tatmotivation, wie sie in der Anklage vorgeworfen werde.
Einer der Verteidiger von Mike S. will die Involvierten eines Vorfalls in der Buslinie 360 als Zeugen laden. Zur Begründung führt der Verteidiger an, dass dieser Vorfall der Anlass für die Angeklagten gewesen sei, um »für Sicherheit« zu sorgen und die Bürgerwehr FTL/360 zu gründen. Außerdem beantragt er ein Sachverständigengutachten eines Arztes, der sich insbesondere mit Splitterverletzungen auskennen soll. Das Gutachten solle zeigen, dass Verletzungen infolge der Splitterwirkung bei den Anschlägen »unwahrscheinlich« gewesen seien. Als drittes beantragt der Anwalt ein demoskopisches Gutachten. Das solle die Frage klären, welche Verletzungen »die Allgemeinheit« erwarte, wenn der Halsbereich von Splittern getroffen werde. Gezeigt werden soll so, dass eine Verletzung der Drosselvene nicht erwartet werde und den Angeklagten damit auch kein Vorsatz vorzuwerfen sei.
Der Nebenklagevertreter RA Nießing beantragt im Anschluss die Vernehmung der drei Polizeibeamten, die im Verdacht standen, Informationen an die Angeklagten weitergegeben zu haben. Einer davon sei der Stiefvater des Angeklagten Sebastian W. und arbeite im Polizeirevier in Freital. Er habe in den polizeilichen Datenbanken mehrfach nach Informationen über die Ermittlungen gegen seinen Stiefsohn und die Angeklagten gesucht. Der zweite, ein Beamter der sächsischen Bereitschaftspolizei, habe Patrick F. im Herbst 2015 an der Aral-Tanktstelle in Freital getroffen. Der dritte Beamte, der geladen werden soll, sei bisher nicht namentlich bekannt. Er habe aber ebenfalls mit Patrick F. über »Whatsapp« in Kontakt gestanden. Der Nebenklagevertreter argumentiert, dass eine Beachtung des Legalitätsprinzips Taten der Angeklagten hätte verhindern können.
Außerdem beantragt RA Nießing die Ladung von Thomas K. und Timo J., die maßgeblich für die Organisation der Turnhallen-Blockade in Dresden-Übigau verantwortlich gewesen seien. Beide hätten gemeinsam das Facebook-Profil »OrakelDebakel« betrieben. Insbesondere Thomas K. habe mit der Angeklagten Maria K. in Kontakt gestanden. Die »Freitaler« seien gern gesehene Unterstützung bei der Turnhallen-Blockade gewesen. Der Nebenklagevertreter weist auch daraufhin, dass die Blockade durch verschiedene Mandatsträger_innen immer wieder aufgewertet worden sei, darunter der sächsische Innenminister Markus Ulbig, der Oberbürgermeister Dresdens Dirk Hilbert und Abgeordnete der AfD-Landtagsfraktion. Mit Lutz Bachmann, Siegfried Däbritz und Tatjana Festerling seien auch die Pegida-Organisator_innen vor Ort gewesen.
Zum Abschluss der heutigen Hauptverhandlung beantragt ein Verteidiger eine Fristverlängerung für das Stellen von Beweisanträgen. Sein Antrag wird vom Senat als unbegründet abgelehnt und er wird auf eine StPO-Ausnahmeregelung verwiesen, die es ermögliche einzelne Anträge auch nach Ende der Frist zu stellen.
Die Hauptverhandlung wird unterbrochen. Wegen der Bearbeitung der Beweisanträge entfallen die kommenden drei Termine. Der Prozess wird am 19. Dezember 2017 fortgesetzt.