31. Januar 2018: 71. Verhandlungstag
Die nächsten Verteidiger plädieren: Die Verteidigung von Justin S. weist auf die Reifedefizite ihres Mandanten hin und will eine Verurteilung nach Jugendstrafrecht. Die Verteidiger von Maria K. betonen, dass ihre Mandantin vom Organisationsdelikt, wie auch vom Vorwurf des versuchten Mordes bzw. der Beihilfe freizusprechen sei.
Die Verteidigung von Justin S. eröffnet heute den Verhandlungstag mit ihrem Plädoyer. RA Renz weist zu Beginn darauf hin, dass es in diesem Verfahren »nichts schön zu reden« gäbe, die Taten seien »schwerwiegend«, aufgrund des Motivs »sogar böse«. Man habe vorsätzlich anderen Menschen geschadet. Das zweite Halbjahr 2015 habe Freital »nachhaltig in Verruf« gebracht.
Die Ursache sieht Renz neben Reifedefiziten in Nationalismus. Ausländer seien zur personifizierten Bedrohung der eigenen Identität gemacht worden: »Wenn ich nichts mehr bin, dann will ich wenigstens deutsch sein.« Reifedefizite seien auch bei seinem Mandanten festzustellen, der in »verhätschelten« Verhältnissen aufgewachsen sei. Er habe sich in »unbedarfter Manier einem Männerbund« angeschlossen, der »SA- und SS-Vorbildern nacheifern« wollte. Um Anerkennung zu bekommen, habe Justin S. selbst Hand angelegt, als es darum ging »Kanaken« oder »Zecken« aufzumischen.
Renz verweist auf den Bericht der Jugendgerichtshilfe, der in Ausschnitten nochmals von seiner Kollegin RAin Hilprecht zitiert wird. Die Reifedefizite von Justin S. verlangen nach einer Verurteilung nach Jugendstrafrecht.
Bei der Bewertung der Taten weiche man in zwei Punkten von der Bundesanwaltschaft ab. Ein Vereinigungsdelikt sei nicht zu erkennen. Justin S. und die Mitangeklagten seien »ein loser Haufen von Individualisten« gewesen. Das zeige sich daran, dass es jedem freigestellt gewesen sei, an Aktionen teilzunehmen oder nicht. Eine »hierarchische Struktur« sei nicht erkennbar, allenfalls die Bildung einer Bande. Unterstreichen lässt das RA Renz durch mehrere längere Auszüge aus den Chatprotokollen, die von seiner Kollegin vorgetragen werden.
Eine weitere Diskrepanz gäbe es hinsichtlich des Vorwurfs des versuchten Mordes. Ein bedingter Tötungsvorsatz liege nicht vor, nirgends tauche in den Chats die Verbindung zwischen »tödlich« und dem »Böllereinsatz« auf. Außerdem seien selbst die Sachverständigen von der Wirkung der Sprengkörper »überrascht« gewesen. Für die Angeklagten, »naive, verblendete Spinner«, so Renz, »ohne jegliches technisches Hintergrundwissen« sei eine tödliche Gefahr erst recht nicht zu erkennen gewesen.
Justin S. sei geläutert und bleibe das auch, erklärt der Anwalt. Deswegen sei eine Jugendstrafe angemessen, die nicht über zwei Jahren liege.
Dann folgt das Plädoyer der Verteidigung von Maria K., RA Brunzel hält den Schlussvortrag. Er erklärt, dass man mit hohen Erwartungen in das Verfahren gegangen sei, aber »große Enttäuschung« erfahren habe. Als Beispiele führt er die Medienberichterstattung an, den Umgang mit Angeklagten, die sich eingelassen haben und die »völlig überzogenen Strafforderungen«.
Überhaupt liege kein Organisationsdelikt vor. Zwar habe es »einen festen Zusammenschluss« gegeben. Aber dessen Existenz bedeute nicht, dass alle Straftaten automatisch von dieser Gruppe ausgingen, so Brunzel und verweist auf die Anschläge auf den PKW, das Parteibüro und die Bahnhofstraße. Darüberhinaus seien auch weitere Kriterien für eine Vereinigung nicht erfüllt, es fehle an Mitgliedsbeiträgen, regelmäßigen Treffen und konspirativen Verhalten. Dass etwa in Chats Pseudonyme genutzt wurden, sei »Eigenheit des Chats«, aber kein Hinweis auf Konspirativität.
Seine Mandantin sei auch nicht am Anschlag auf den PKW des Linken-Stadtrats beteiligt gewesen und folglich in diesem Anklagepunkt freizusprechen. Dass sie gemeinsam mit Patrick F. kurz vor dem Angriff einen Ersatzfahrzeugsschüssel holt, sei ein »reiner Freundschaftsdienst« gewesen. Im Fall des Angriffs auf die Overbeckstraße sei ihr nur vorzuwerfen, dass sie ihren Baseballschläger nicht zurückgefordert habe, ansonsten habe sie nicht an der Tat mitgewirkt.
Auch hinsichtlich des Anschlags auf die Wilsdruffer Straße lägen keine Belege vor, die eine Verurteilung, auch nicht zur Beihilfe, rechtfertigen würden. Sie sei nicht in Tatortnähe gewesen und habe deswegen auch nicht »psychisch« unterstützen können. Der Verteidiger Kucklick stellt einen Hilfsantrag für den Fall, dass das Gericht eine Verurteilung wegen Beihilfe beabsichtigt. In dem Falle solle Mirjam K. als Zeugin vernommen werden, außerdem solle es eine Ortsbegehung geben. Vom Ort, an dem sich Maria K. nach eigenen Angaben während der Tat aufgehalten habe, soll der Tatort nicht einsehbar gewesen sein.
Abschließend beantragt RA Brunzel ein Strafmaß von einem Jahr und sechs Monaten. Außerdem hoffe er, dass ihn der Senat nicht enttäusche.