16. Mai 2017: 20. Verhandlungstag
Das Gericht vernimmt heute drei Polizisten. Ein Beamter berichtet zunächst über die Äußerungen Timo S.s im Rahmen seiner Wohnungsdurchsuchung. Dann schildert ein BKA-Beamter die mehrstündige polizeiliche Vernehmung des Angeklagten Justin S. und abschließend erläutert ein LKA-Ermittler die Auswertungen von Videomaterial der ARAL in Freital im Zusammenhang mit dem Anschlag Wilsdruffer Straße.
Die erste Zeugenvernehmung dauert nicht einmal 15 Minuten. Der Polizist W. war als Durchsuchungskraft in der Wohnung des Angeklagten Timo S. eingesetzt. Er schildert, dass sich Timo S. von dieser Maßnahme sehr überrascht und auch empört gezeigt habe. Der habe sich in der Diskussion »sehr offensiv« verhalten, so W., und sich als »Halbjurist« bezeichnet. Ansonsten sei die Durchsuchung aber »ganz normal« verlaufen und nach drei Stunden beendet gewesen. Zu den Vorwürfen habe Timo S. gesagt, dass er da nicht dabei gewesen sei, bezogen auf den Anschlag Wilsdruffer Straße habe er außerdem geäußert, dass er in der Nacht bei McDonalds in Dresden-Gompitz essen gewesen sei. Er habe auch bestritten etwas mit Pyrotechnik zu tun zu haben, so die Erinnerung des Beamten.
Im Anschluss wird der BKA-Beamte N. vernommen. Er berichtet vor allem über die Beschuldigtenvernehmung von Justin S., die damals unter Beisein seines Rechtsanwaltes durch Staatsanwalt Neuhaus geführt worden sei. Justin S. habe bei der Befragung nur sehr zögerlich geantwortet, erklärt der Zeuge, man habe mehr Fragen gestellt, als man Antworten bekommen habe. Die Vernehmung, sie habe sich über mehrere Stunden erstreckt, sei auf Band aufgezeichnet worden. Der Bericht des BKA-Beamten über die Aussage deckt sich in wesentlichen Punkten mit der Einlassung Justin S.s zu Beginn des Prozesses.
In der Vernehmung sei zunächst der persönliche Werdegang von Justin S. thematisiert worden, anschließend sei es darum gegangen, wie er in Kontakt mit den anderen Angeklagten gekommen sei. Auch damals habe er schon ausgesagt, dass er zunächst in einer Gruppe aktiv gewesen sei, die »Kosovoalbanern« bei der Aus- bzw. Weiterreise »geholfen« habe. Über Mike S. sei er letztlich zu den Treffen an der ARAL mitgenommen worden. Die Tankstelle, auch als »blaue Lagune« bezeichnet, sei dann regelmäßiger Treffpunkt gewesen. Justin S. habe ausgesagt, dass man Treffen telefonisch oder per Chat abgestimmt habe, zunächst mit Whatsapp, später dann mit Kakaotalk. Die Mitglieder der Gruppe habe Justin S. in der Vernehmung als »ziemlich rechtsradikal und hoch gewalttätig gegenüber Andersdenkenden« beschrieben. Der Zeuge N. berichtet, dass Justin S. sich selbst als »Mitläufer« beschrieben habe, der in der Gruppe nach Anerkennung gesucht habe. Wortführer seien Timo S., Patrick F. und Philipp W. gewesen, gefragt nach den »Chefs«, habe Justin S. sowohl Timo S. als auch Patrick F. benannt.
Als Gruppe sei man gemeinsam auf Demonstrationen gegangen, etwa in Freital, zu Pegida in Dresden oder in Heidenau. Justin S. habe auch gesagt, dass er mit Mike S. und weiteren Personen bei Spielen von Dynamo Dresden im Ultrablock gewesen sei.
Justin S. habe in der Vernehmung zum Anschlag auf den PKW des Linken-Stadtrats erzählt, dass man schon drauf und dran gewesen sei, den durchzuführen, dann aber davon Abstand genommen habe. Einen Tag später habe er dann erfahren, dass das Auto gesprengt worden sei. Zum Anschlag Bahnhofstraße habe Justin S. gesagt, dass er bei einer Geburtstagsparty gewesen sei, in deren Verlauf er gehört habe, dass etwas passiert sei. Daraufhin sei er zum Tatort gegangen. Später habe er gehört, dass Patrick F. den Anschlag verübt haben soll, der habe sich ihm gegenüber aber nie dazu bekannt, sondern behauptet, er habe an dem Abend »gezockt«.
Der BKA-Beamte N. berichtet auch über die Aussage Justin S.s zu Overbeckstraße. Das Ziel des Angriffs sei gewesen, das gesamte Wohnobjekt unbewohnbar zu machen. Man sei einem Plan von Patrick F. gefolgt und habe zwei Gruppen gebildet, eine sollte von vorne einen Ablenkungsangriff starten, hinten am Haus sollten die Scheiben eingeschlagen werden und dann mit Cobra-Sprengkörpern verbundene Buttersäureflaschen hineingeworfen werden. Justin S. selbst sei hinten dabei gewesen und habe einen La-Bomba-Teppich gezündet.
Zum Anschlag Wilsdruffer Straße habe Justin S. ebenfalls ausgesagt. Er habe seinen Sprengkörper nicht wie abgemacht an das Fenster geklebt, sondern auf die Fensterbank, in der Hoffnung so die Folgen der Explosion zu minimieren. Der BKA-Beamte erwähnt auch, dass Justin S. gesagt habe, dass er den Sprengkörper nicht gezündet hätte, hätte er Personen hinter seinem Fenster gesehen. Justin S. habe in seiner Aussage bestätigt, dass er gewußt habe, dass hinter dem mittleren Fenster Leute zu sehen waren. Er habe außerdem ausgesagt, dass er sich Sorgen gemacht habe, jemand könne verletzt oder gar getötet werden.
Der Zeuge berichtet, dass Justin S. noch zu weiteren Taten Angaben gemacht habe, darunter zu zwei Brandstiftungen im ehemaligen Real-Markt. Er berichtete auch von den Sprengversuchen und davon gefertigten Videos. Dabei seien Cobra-Sprengkörper mit Nägeln und Bierdosen präpariert worden. Hintergrund sei die Idee gewesen, eine solche »Splitterbombe« in ein Flüchtlingszelt zu werfen. Das sei aber nicht konkretisiert worden. Der Zeuge N. erinnert sich auch, dass es eine Diskussion gegeben habe, dass man auf Frauen und Kinder Rücksicht nehmen müsse. Nach etwa anderthalb Stunden endet die Zeugenbefragung.
Dritter und letzter Zeuge des Tages ist KHK Daniel M. vom LKA Sachsen. Er wird heute zur Auswertung der Videoüberwachung der ARAL-Tankstelle im Zusammenhang mit dem Anschlag Wilsdruffer Straße vernommen.
KHK M. berichtet, dass er Videos im Zeitraum von 16:00 bis 2:00 Uhr ausgewertet habe. Insgesamt habe ihm Material von sieben bis neun Kameras zur Verfügung gestanden, die Videos habe er sich einzeln und mehrfach angeschaut. Das Ergebnis seiner Auswertung seien Videoprints, die er seinem Auswertebericht beigefügt habe. Für die Sicherung der Videodaten sei er nicht zuständig gewesen, dass hätten vermutlich Kollegen der Polizeidirektion Dresden oder vom OAZ übernommen. Er persönlich hätte sich Aufnahmen gewünscht, die noch ein, zwei Stunden länger dauern. Allerdings habe er die Auswertung erst ein halbes Jahr später vorgenommen, weil die vorher nicht zu schaffen gewesen sei. Damit sei es aber auch zwecklos weiteres Material der Tankstelle anzufragen, das sei bereits gelöscht.
M. erläutert, dass in der Ermittlungsgruppe Deuben die ARAL nach dem Anschlag Overbeckstraße als neuralgischer Punkt und »Haupttreffpunkt« erkannt worden wäre. Vorher habe es nur einen leichten Verdacht gegeben. Entsprechend sei auch im Zusammenhang mit dem Anschlag Wilsdruffer Straße das Videomaterial gesichert worden.
Aus dem Material habe er herausgearbeitet, dass zwischen 16:30 und 16:45 Uhr verschiedene Beschuldigte an der Tankstelle eintreffen, darunter Justin S., Mike S., Timo S., Sebastian S. und Rico K. Dann habe man sehen können, dass drei Fahrzeuge das Gelände verlassen. Gegen 21:30 Uhr habe es die nächste Zusammenkunft in einer veränderten Konstellation gegeben. Um 22:08 Uhr habe die Gruppe die Tankstelle erneut verlassen. Bemerkenswert, so der Zeuge, sei dann ein Fahrerwechsel gegen 23 Uhr gewesen, da seien Justin S. und Sebastian W. beteiligt gewesen. Um 1:40 Uhr habe er beide erneut erkannt, außerdem sei gleichzeitig das Fahrzeug von Timo S. an der Tankstelle aufgetaucht. Alle seien bis mindestens 2 Uhr dort geblieben.
Das Gericht nimmt die gefertigten Videoprints in Augenschein. Der Zeuge erläutert, dass die Treffen »routinemäßig« und wie ein »alltäglicher Besuch« gewirkt hätten. Er habe in den Videos erkennen können, dass man miteinander in kleinen Gruppen beisammen gestanden und gesprochen habe. Eine Besprechung bei der alle im Kreis gestanden hätten, habe er aber nicht gesehen. Er habe auch kein konspiratives Verhalten erkennen können. Mit Einbruch der Dunkelheit habe die Erkennbarkeit der Videos nachgelassen, M. habe da weniger Details sehen können als bei den Tag- oder Innenaufnahmen.
Nach der einstündigen Befragung endet der heutige Verhandlungstag.